aa) Überblick
Rz. 51
War der Anwalt bereits im vorangegangenen Besteuerungs-, Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig, sind die dort angefallenen Gebühren – vorbehaltlich einer Begrenzung – hälftig anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV, § 35 Abs. 2 RVG).
bb) Vorangegangene Tätigkeit richtet sich nach dem RVG
Rz. 52
Ist im vorangegangenen Besteuerungs-, Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren eine Geschäftsgebühr angefallen, so ist diese zur Hälfte anzurechnen, höchstens jedoch zu 0,75 (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV). Sind dem gerichtlichen Verfahren mehrere anzurechnende Gebühren vorausgegangen, ist nur die Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV hälftig anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV).
Beispiel 18: Erstinstanzliches Verfahren vor dem FG mit vorangegangenem Einspruchsverfahren
Gegen den Mandanten ist ein Steuerbescheid über 4.000,00 EUR ergangen. Der Mandant beauftragt den Anwalt, gegen den Steuerbescheid Einspruch einzulegen und, nachdem dieser zurückgewiesen worden ist, hiergegen Klage zu erheben. Es wird mündlich verhandelt.
Vorgerichtlich ist eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen. Diese ist nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV zur Hälfte anzurechnen.
I. |
Einspruchsverfahren |
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
417,00 EUR |
|
(Wert: 4.000,00 EUR) |
|
|
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
437,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
83,03 EUR |
Gesamt |
|
520,03 EUR |
II. |
Rechtsstreit |
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
|
444,80 EUR |
|
(Wert: 4.000,00 EUR) |
|
|
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
|
– 208,50 EUR |
|
0,75 aus 4.000,00 EUR |
|
|
3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3202 VV |
|
333,60 EUR |
|
(Wert: 4.000,00 EUR) |
|
|
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
589,90 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
112,08 EUR |
Gesamt |
|
701,98 EUR |
Rz. 53
Ebenso ist anzurechnen, wenn dem Widerspruchsverfahren eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, die nach der StBVV abzurechnen ist.
Beispiel 19: Hilfeleistung bei Abgabe einer Steuererklärung; anschließendes Einspruchsverfahren und nachfolgender Rechtsstreit
Der Anwalt fertigt für den Mandanten die Erbschaftssteuererklärung (Wert des Nachlasses: 150.000,00 EUR). Es ergeht ein Erbschaftssteuerbescheid über 4.000,00 EUR. Der Mandant beauftragt den Anwalt, gegen den Steuerbescheid Einspruch einzulegen und nach abschlägigem Bescheid Klage zu erheben.
Für die Abgabe der Steuererklärung gilt § 35 RVG i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 12 StBVV.
Im Einspruchsverfahren fällt jetzt die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV an. Darauf ist die 6/10-Gebühr des Besteuerungsverfahrens hälftig anzurechnen, und zwar gem. § 35 Abs. 2 S. 2 RVG nach dem Wert, der in das Einspruchsverfahren übergeht, also aus 4.000,00 EUR.
Im gerichtlichen Verfahren entsteht die 1,6-Verfahrensgebühr; darauf ist wiederum gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1, 3 VV die Geschäftsgebühr des Einspruchsverfahrens hälftig anzurechnen.
I. |
Steuererklärung |
1. |
6/10-Gebühr, § 35 RVG i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 12 StBVV |
|
1.118,40 EUR |
|
(Wert: 150.000,00 EUR) |
|
|
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.138,40 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
216,30 EUR |
Gesamt |
|
1.354,70 EUR |
II. |
Einspruchsverfahren |
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
417,00 EUR |
|
(Wert: 4.000,00 EUR) |
|
|
2. |
gem. § 35 Abs. 2 RVG anzurechnen, |
|
– 86,40 EUR |
|
3/10 aus 4.000,00 EUR |
|
|
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
350,60 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
66,61 EUR |
Gesamt |
|
417,21 EUR |
III. |
Gerichtliches Verfahren |
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
|
444,80 EUR |
|
(Wert: 4.000,00 EUR) |
|
|
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1, 3 VV anzurechnen, |
|
– 208,50 EUR |
|
0,75 aus 4.000,00 EUR |
|
|
3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3202 VV |
|
333,60 EUR |
|
(Wert: 4.000,00 EUR) |
|
|
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
589,90 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
112,08 EUR |
Gesamt |
|
701,28 EUR |
Rz. 54
Möglich ist auch, dass vorgerichtlich mehrere Geschäftsgebühren nebeneinander angefallen sind. Dann sind alle Gebühren hälftig, jedoch höchstens zu 0,75 anzurechnen. Nach dem neu eingeführten § 15a Abs. 2 RVG darf nicht mehr angerechnet werden als ein Betrag nach dem höchsten anzurechnenden Gebührensatz aus dem Gesamtwert. Siehe dazu ausführlich § 8 Rdn 62.
Beispiel 20: Anrechnung bei mehreren Einspruchsverfahren, die in gemeinsame Klage münden
Gegen den Mandanten sind zwei getrennte Einkommenssteuerbescheide über 5.000,00 EUR (Veranlagungsjahr 2019) und über 8.000,00 EUR (Veranlagungsjahr 2020) ergangen. Der Anwalt hatte gegen beide Bescheide gesondert Einspruch eingelegt. Die Behörde entscheidet über die Einsprüche durch einen einheitlichen Bescheid. Hiergegen wird dann eine einheitliche Anfechtungsklage geführt.
Ungeachtet der gemeinsamen Einspruchsentscheidung erhält der Anwalt für jedes Einspruchsverfahren eine gesonderte Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV, wobei hier von der Mittelgebühr ausgegangen werden soll (siehe Rdn 29). Im gerichtlichen Verfahren entsteht dagegen nur eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV aus...