Rz. 312
Werden die Erwerbe zusammengerechnet und besteuert, muss die Steuer berücksichtigt werden, die auf den einbezogenen Vorerwerb bezahlt werden musste. Sie wird von der Steuer auf den Gesamterwerb abgezogen. Dafür bietet das Gesetz zwei Möglichkeiten, unter denen der Steuerpflichtige wählen kann.
a) Anrechnung einer fiktiven Steuer
Rz. 313
Von der Steuer für den Gesamtbetrag wird die Steuer abgezogen, die für die früheren Erwerbe nach den persönlichen Verhältnissen des Erwerbers und auf der Grundlage der geltenden Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben gewesen wäre (§ 14 Abs. 1 S. 2 ErbStG). Angerechnet wird nicht unbedingt die Steuer, die auf den Vorerwerb gezahlt worden ist, sondern ggf. eine fiktive (höhere) Steuer. Der Grund hierfür liegt darin, dass neues Recht nicht auf einen alten Erwerb angewendet werden kann. Aus dem gleichen Grund kommt es auf die persönlichen Verhältnisse des Erwerbers zur Zeit des letzten Erwerbs an. Hat sich die Rechtslage zwischen den Erwerben nicht geändert, und sind auch die persönlichen Umstände gleich geblieben, vor allem die Steuerklasse, entspricht die fiktive Steuer der tatsächlichen Steuer. Hat sich die Steuerklasse verbessert, mindert das den anrechenbaren Betrag.
Beispiel
M hat F zur Verlobung ein Familienheim geschenkt. Die Erfüllung des Heiratsversprechens hat sich etwas hingezogen. Vier Jahre später war es endlich so weit. Dann hat M noch ein namhaftes Sümmchen dazu gelegt, den Scheck allerdings, diesmal gut beraten, erst nach dem "Ja" auf dem Standesamt übergeben. Die fiktive Steuer auf das Familienheim wird nicht mehr nach der Steuerklasse III berechnet, sondern nach der Steuerklasse I. Das mindert den anrechenbaren Betrag.
Rz. 314
Hat sich die Steuerklasse verschlechtert, verschlechtert sich zwar die Besteuerung, aber der anrechenbare Betrag erhöht sich.
Beispiel
Acht Jahre nach der Heirat trennen sich M und F als gute Freunde. M gibt F noch ein namhaftes Sümmchen auf ihren weiteren Lebensweg mit. Das "Gute-Reise-Geschenk" ist in der Steuerklasse II zu versteuern, nach der auch die anrechenbare Steuer auf die Vorschenkung berechnet wird.
b) Anrechnung der tatsächlich gezahlten Steuer/Mindeststeuer
Rz. 315
Anstelle der fiktiven Steuer kann er auch die tatsächlich auf den in die Zusammenrechnung einbezogenen früheren Erwerb gezahlte Steuer anrechnen, wenn sie höher ist (§ 14 Abs. 1 S. 3 ErbStG). Allerdings wird durch § 14 Abs. 1 S. 4 ErbStG die Möglichkeit einer steuerfreien Nachschenkung ausgeschlossen. Demzufolge darf die Steuer, die sich für den letzten Erwerb ohne Zusammenrechnung mit früheren Erwerben ergibt, durch den Abzug der Steuer nach S. 2 oder S. 3 nicht unterschritten werden.
Beispiel
Ein Onkel schenkt seiner Nichte 2019 einen Geldbetrag von 890.000 EUR, Ende 2019 adoptiert er sie. 2020 verstirbt er und vererbt ihr 810.000 EUR.
Lösung
Die Steuer ist gem. § 14 ErbStG für den Gesamterwerb von 1.700.000 EUR zu berechnen. Die beim Vorerwerb tatsächlich zu zahlende Steuer ist zum Abzug zu bringen.
Für den Gesamterwerb wären nach der Adoption zu zahlen 249.000 EUR ([1.700.000 EUR ./. 400.000 EUR] x 19 %).
Für den Vorerwerb wären zu zahlen 261.000 EUR ([890.000 EUR ./. 20.000 EUR Freibetrag] x 30 %).
Ohne § 14 Abs. 1 S. 4 ErbStG würde die Steuer nach dem Erbfall 0 EUR (249.000 EUR ./. 261.000 EUR = ./. 12.000 EUR) betragen.
Tatsächlich aber wird der Abzug der Steuer für den Vorerwerb aber soweit begrenzt, dass auf jeden Fall der für den Letzterwerb geschuldete Steuerbetrag zu zahlen ist, also 63.000 EUR ([810.000 EUR ./. 400.000 EUR./. 20.000 EUR] x 15 %).
Die Zusammenerrechnung wirkt sich also vorliegend gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 ErbStG im Ergebnis nicht aus.
Rz. 316
Bei einer Anrechnung der tatsächlich gezahlten Steuer kann das Anrechnungsvolumen durch Änderungen der persönlichen Verhältnisse des Erwerbers oder durch eine Änderung der Rechtslage nicht wieder verloren gehen. Ist die tatsächliche Steuer für den Vorerwerb höher als die Steuer für den Gesamterwerb, wird nichts erstattet.
c) Zehn-Jahres-Frist
Rz. 317
Der erste und der letzte Erwerb dürfen nicht mehr als zehn Jahre auseinander liegen. Maßgebend ist jeweils der Entstehungszeitpunkt der Steuer (§ 9 ErbStG). Die Zehn-Jahres-Frist ist nach den allgemeinen Regeln der Fristberechnung zu ermitteln (§§ 187 ff. BGB, § 108 Abs. 1 AO). Der Einbezug der Vorerwerbe erfolgt durch eine Rückwärtsrechnung vom Zeitpunkt des Letzterwerbs, d.h. taggenau. Bei einer Schenkungskette im Zehn-Jahres-Zeitraum ist die Rückrechnung bis zum Vortag des Tages, der in seiner Benennung im Kalender dem Tag der Steuerentstehung für den letzten Erwerb entspricht, vorzunehmen. Also bei Schenkung am 11.5.2013 bis zum 10.5.2023. Liegen innerhalb des Zehn-Jahres-Zeitraums mehr als zwei Schenkungen, werden alle Erwerbe vor dem Letzterwerb zusammengerechnet und als eine rechnerische Vorschenkung betrachte...