Rz. 71
Als Schenkung unter Lebenden ist gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG grundsätzlich jede freigebige Zuwendung steuerpflichtig, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird.
Rz. 72
Schenkung im schenkungsteuerrechtlichen Sinne ist jede substantielle Vermögensbewegung, bei der eine Person (Zuwendender) zugunsten einer anderen Person (Bedachter) einen Gegenstand ihres Vermögens hingibt und dadurch bei der anderen Person eine Vermögensmehrung als Ergebnis dieser Vermögensverschiebung eintritt. Zu den objektiven Merkmalen eines Zuwendungsvorgangs in diesem Sinne gehören auf der einen Seite die Vermögenshingabe (Entreicherung) beim Zuwendenden und auf der anderen Seite die Vermögensmehrung (Bereicherung) beim Bedachten. Entreicherung und Bereicherung kommen natürlich nur insoweit in Betracht, als die Zuwendung unentgeltlich erfolgt, ihr also keine äquivalente Gegenleistung des Bedachten gegenübersteht. Abgeschlossen ist ein Zuwendungsvorgang erst mit der Ausführung der Zuwendung i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. Erst dann ist die Vermögensverschiebung im steuerlichen Sinne endgültig.
Rz. 73
Eine Entreicherung des Zuwendenden im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG setzt eine Vermögenshingabe – durch rechtsgeschäftliche oder tatsächliche Handlung, ggf. auch durch Unterlassen – voraus. Gegenstand der Vermögenshingabe können Rechte, Sachen und alle anderen geldwerten Vermögensgegenstände sein, die abtretbar oder übertragbar sind bzw. belastet werden können. Gleiches gilt für solche Vermögensgegenstände, auf die der Zuwendende einseitig verzichten kann.
Die Vermögenshingabe muss freiwillig erfolgen, also frei von Zwang oder Drohung vorgenommen werden.
Rz. 74
Ungeachtet des grundsätzlich bestehenden Erfordernisses einer substanziellen Vermögensverschiebung, die sich nicht in einem reinen "Wertübergang" erschöpft, ist § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht auf gegenständliche Vermögenshingaben beschränkt. Denn neben der Substanzübertragung kommt auch die Einräumung von Gebrauchs- bzw. Nutzungsrechten als tauglicher Zuwendungsgegenstand in Betracht.
Rz. 75
Vor diesem Hintergrund kommt eine steuerpflichtige freigebige Zuwendung auch bei der Hingabe eines zinslosen Darlehens in Betracht. In diesem Fall besteht die Zuwendung in einem der Laufzeit der Zurverfügungstellung entsprechenden Vielfachen des Jahreswerts der Kapitalnutzung, wobei der einjährige Betrag gem. § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 1 BewG im Zweifel mit 5,5 % anzunehmen ist. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen zunächst eine Verzinsung vereinbart, deren Bezahlung jedoch später erlassen wird.
Rz. 76
Unentgeltliche Dienst- oder Arbeitsleistungen sind nicht ohne Weiteres als entreichernde Vermögenshingabe anzusehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Leistende nicht zugunsten des Leistungsempfängers auf anderweitige Erwerbsmöglichkeiten verzichtet hat. Auch der Verzicht auf bloße Erwerbsaussichten stellt keine Vermögenshingabe dar. Dasselbe gilt für die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses.
Rz. 77
Die Bereicherung des bedachten Zuwendungsempfängers setzt eine Mehrung seines Vermögens voraus, also eine Erhöhung seines Vermögensbestandes. Insoweit ist das Gesamtvermögen des Zuwendungsempfängers maßgeblich. Ob dessen Wert erhöht ist, ist nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen zu ermitteln. Maßgeblich ist daher insofern der Verkehrswert, nicht aber ein hiervon ggf. abweichender Steuerwert (i.S.v. § 12 ErbStG, ggf. reduziert um sachliche Steuerbefreiungen).
Rz. 78
Ein Zugang aktiver Vermögenswerte ist nicht unbedingt Voraussetzung für die Erhöhung des Gesamtvermögensbestandes. Auch der Wegfall negativer Vermögensgegenstände, also von Schulden bzw. sonstigen Lasten, kann zu einer positiven Veränderung des Vermögensbestandes führen. Vor diesem Hintergrund kann auch der Erlass einer Schuld oder der Forderungsverzicht zu einer freigebigen Zuwendung führen.
Rz. 79
Der Vollzug einer Zuwendung setzt einen Vermögenszuwachs auch im Rechtssinne voraus, die ein rechtswirksames Verfügungsgeschäft über den Zuwendungsgegenstand erfordert. Die verbindliche Zusage einer Zuwendung genügt nicht. Auch die notarielle Erklärung eines Schenkungsversprechens bildet noch keine freigebige Zuwendung i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; steuerbar ist erst die Erfüllung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Zuwendungsgegenstand selbst in einem Anwartschaftsrecht besteht, das der Schenker an den Erwerber weitergibt. In diesem Fall muss der Erwerb des Anwartschaftsrechts steuerpflichtig sein.
Rz. 80
Nach endgültigem Vollzug des Verpflichtungsgeschäfts ist ein späterer Entfall des Rechtsgrundes für die Zuwendung grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt jedenfalls dann bzw. soweit, wie der Beschenkte den Zuwendungsgegenstand nicht herausgibt. Das bloße Bestehen eines entsprechenden Rückforderungsrechts oder eines Herausgabeanspruchs ist unbeachtlich.
Rz. 81
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