Rz. 213
Nach § 11 Abs. 1 BewG ist für Anteile an börsennotierten Kapitalgesellschaften der Börsenkurs am jeweiligen Stichtag (i.S.v. § 11 ErbStG) maßgeblich, und zwar der niedrigste am Stichtag notierte. Die insoweit von der Finanzverwaltung in der Vergangenheit wiederholt vertretene Auffassung, variable Kursnotierungen seien nicht maßgeblich war und ist mit dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 BewG nicht vereinbar. Außerdem würde das Abstellen auf einen einzigen Einheitskurs je Tag und der damit verbundene Ausschluss der Berücksichtigung variabler Notierungen die Vorgabe des Gesetzes, auf den niedrigsten notierten Kurs abstellen zu wollen, konterkarieren. Ganz offensichtlich setzt das Gesetz insoweit das Bestehen verschiedener Notierungen am Stichtag voraus.
Rz. 214
Kann ein Börsenkurs am Bewertungsstichtag nicht festgestellt werden, ist auf den letzten innerhalb von 30 Kalendertagen vor dem Besteuerungszeitpunkt im amtlichen Handel notierten Kurs abzustellen (§ 11 Abs. 1 S. 2 BewG). Fehlt auch eine Notierung in diesem Zeitraum, ist auf im geregelten Markt oder auch im Freiverkehr zustande gekommene Kurse zurückzugreifen.
Rz. 215
Abweichungen vom tatsächlichen Kurswert am Bewertungsstichtag wurden von der Rechtsprechung bisher nur in sehr engen Grenzen zugelassen. In Betracht kamen insoweit nur Fälle, in denen Umstände vorlagen, unter denen die Streichung des Kurses nach Börsenrecht hätte verlangt werden können. Allein die Feststellung überhöhter Kurse aufgrund spekulativer Einflüsse reicht grundsätzlich nicht aus, denn ungeachtet des sachlich nicht gerechtfertigten Kurses könnte ein Anteilseigner an diesem Stichtag den entsprechenden Wert realisieren. Ein Abweichen vom Börsenkurs ist auch durch das Vorliegen nicht repräsentativer Minimalumsätze i.d.R. nicht gerechtfertigt.
Rz. 216
Der Wert von Anteilen an nicht notierten Kapitalgesellschaften wird gem. § 11 Abs. 2 BewG vorrangig aus tatsächlich durchgeführten Verkäufen abgeleitet. Relevant sind insoweit Verkäufe im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, die – im Besteuerungszeitpunkt, also am Stichtag – weniger als ein Jahr zurückliegen. Die Formulierung "unter fremden Dritten" ist so zu deuten, dass nur Verkäufe als Ableitungsgrundlage dienen können, die nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter frei agierenden Wirtschaftssubjekten zustande gekommen sind, und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und unter Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln vermochte. Ob es sich bei den Vertragsparteien tatsächlich um fremde Dritte, nahe Angehörige oder Mitgesellschafter handelt, ist irrelevant, solange der Preis, auf den sie sich geeinigt haben, einem Fremdvergleich standhält, also nach Kriterien gebildet wurde, wie sie auch von fremden Dritten in Erwägung gezogen worden wären.
Durch ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse beeinflusste Preise können daher nicht als Grundlage der Bewertung dienen. Sie sind demnach auszuscheiden; dies ergibt sich bereits aus § 9 Abs. 3 BewG. Nichtsdestotrotz liegt nicht jeder Sondereinfluss außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs. So ist z.B. eine Preiserhöhung, die auf dem besonderen Interesse eines Unternehmens am Eintritt in einen bestimmten Markt beruht, nicht als ungewöhnlich anzusehen. Dasselbe gilt für den Handel mit Sperrminoritäten, Schachtelbeteiligungen oder Mehrheitsbeteiligungen an Kapitalgesellschaften. Als Verkauf im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs kann auch die Übernahme von GmbH-Anteilen anlässlich einer Kapitalerhöhung, z.B. bei Hinzutreten neuer Gesellschafter, angesehen werden; ebenso die Ausgabe neuer Geschäftsanteile bei der Aufnahme eines neuen Gesellschafters. Auch ein Ausscheiden aus der Gesellschaft gegen Abfindung kann als relevanter Verkauf anzusehen sein, soweit die Abfindung dem Verkehrswert der Beteiligung entspricht.
Rz. 217
Nach dem Gesetzeswortlaut sind nur in der Vergangenheit, also vor dem Zeitpunkt der Steuerentstehung liegende Verkäufe zur Wertableitung in Betracht zu ziehen. Verkäufe nach dem Stichtag sind für § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BewG grundsätzlich irrelevant. Eine Ausnahme kommt lediglich dann in Betracht, wenn allein der formelle Vertragsschluss kurz nach dem Stichtag liegt, die Einigung über den Kaufpreis allerdings am Bewertungsstichtag schon herbeigeführt war. Ganz allgemein können jedoch Verkäufe nach dem Bewertungsstichtag als Anhaltspunkte zur Kontrolle der Angemessenheit der Bewertung anhand des (vereinfachten) Ertragswertverfahrens herangezogen werden, so z.B. wenn sich im Rahmen von Erbauseinandersetzungen oder aus kurz nach dem Bewertungsstichtag stattfindenden Verkäufen abweichende Erkenntnisse über den Wert des Unternehmens herleiten lassen.
Rz. 218
Ob die Finanzverwaltung befugt ist, unwiderlegbar zu vermuten, dass zeitnahe Verkäufe in der Vergangenheit den zutreffenden Marktwert zum Bewertungsstichtag richtig widerspiegeln, ist nicht vollständig klar...