Rz. 770
Während § 1 Abs. 2a GrEStG eine Sonderregelung nur für Personengesellschaften darstellt, betrifft § 1 Abs. 3 GrEStG alle Gesellschaften, unabhängig von der Rechtsform. Hier geht es allerdings nicht lediglich um Anteilsübertragungen sondern um die Vereinigung (unmittelbar oder mittelbar) von mindestens 90 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand eines Erwerbers. Voraussetzung ist selbstverständlich auch hier, dass die in Rede stehende Gesellschaft inländischen Grundbesitz hält.
Rz. 771
§ 1 Abs. 3 GrEStG fingiert – zivilrechtlich gar nicht stattfindende – Grundstückserwerbe. Dies gilt sowohl für Fälle von Anteilsvereinigungen (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG) sowie für Fälle entsprechender Anteilsübertragungen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 GrEStG). Den Regelungen liegt insgesamt die Vorstellung zugrunde, dass ein zu 90 % oder mehr beteiligter Gesellschafter wirtschaftlich die "Verwertungsmöglichkeit" an den der Gesellschaft gehörenden Grundstücken erlangt. Er wird damit grunderwerbsteuerrechtlich so behandelt, als habe er nicht die Gesellschaftsanteile sondern vielmehr die der Gesellschaft zuzurechnenden Grundstücke erworben.
Rz. 772
Der Aufbau von § 1 Abs. 3 GrEStG ähnelt dem des Absatzes 1. Primär knüpfen die Tatbestände an das auf die (90 %-ige) Anteilsvereinigung gerichtete schuldrechtliche Geschäft an. Liegt ein solches nicht vor, unterliegt die Vereinigung der Anteile bzw. der Anteilsübergang selbst der Besteuerung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 und 4 GrEStG). Erwerber im Sinne von § 1 Abs. 3 GrEStG ist grundsätzlich diejenige natürliche oder juristische Person, in deren Hand wenigstens 90 % der Anteile an einer Gesellschaft vereinigt werden. Allerdings stellt § 1 Abs. 3 Nr. 1 zweite Alternative GrEStG klar, dass auch die Anteilsvereinigung in "mehreren Händen" den Tatbestand erfüllen kann, soweit diese einem Organkreis im Sinne von § 1 Abs. 4 Nr. 2 GrEStG angehören.
Rz. 773
Gesellschaften im Sinne von § 1 Abs. 3 GrEStG sind insbesondere die AG, die GmbH, die KGaA, die eG sowie sämtliche Personengesellschaften. Ob die Anteilsvereinigung unmittelbar oder nur mittelbar geschieht, ist für die Tatbestandsverwirklichung ohne Belang. Nicht zu den Gesellschaften im Sinne von § 1 Abs. 3 GrEStG gehören Vereine, Stiftungen sowie stille Gesellschaften ebenso wenig die Erbengemeinschaft als nicht auf freier Willensentschließung beruhender Zusammenschluss.
Rz. 774
Anteile an der Gesellschaft sind bei Aktiengesellschaften die Aktien, bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Geschäftsanteile. Dem Personengesellschaftsrecht ist der Begriff "Anteil" zwar grundsätzlich fremd; gemeint sind hier aber die gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen im Sinne einer aus der Mitgliedschaft in der Gesellschaft folgenden gesamthänderischen Mitberechtigung. Die Anwendbarkeit von § 1 Abs. 3 GrEStG setzt grundsätzlich den Fortbestand der vereinigten Anteile voraus. Dies stellt bei Anteilsvereinigungen von wenigstens 90 % aber weniger als 100 % der insgesamt vorhandenen Anteile kein Problem dar, und zwar unabhängig von der Gesellschaftsform. Demgegenüber ist eine 100 %-ige Anteilsvereinigung bei Personengesellschaften mit einem Untergang der Gesellschaft und einer Anwachsung des gesamten Vermögens beim Erwerber des "letzten Anteils" verbunden, sodass eine Erfüllung des Tatbestandes von § 1 Abs. 3 GrEStG prinzipiell ausscheidet. Es liegt in diesen Konstellationen vielmehr ein steuerpflichtiger Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG vor.
Rz. 775
Im Übrigen ist zur Berechnung des grunderwerbsteuerlichen Quantums (nur 95 % der Anteile) im Sinne von § 1 Abs. 3 GrEStG darauf hinzuweisen, dass eigene Anteile, die die in Rede stehende Gesellschaft selbst hält, keine Anteile im Sinne von § 1 Abs. 3 GrEStG sind. Sie sind daher bei der Berechnung der 90 %-Grenze außen vor zu lassen bzw. herauszurechnen. Rechtfertigung hierfür ist, dass der Erwerber das Vermögen der Gesellschaft in gleicher Weise beherrschen kann, wie wenn der Gesellschaft keine eigenen Anteile zustünden. Entscheidend ist insoweit, dass kein weiterer Gesellschafter (allein oder gemeinsam mit anderen) zu mehr als 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Konsequenterweise kann eine Anteilsvereinigung auch dadurch erfolgen, dass ein Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft seine Beteiligung an die Gesellschaft selbst abtritt und infolge dessen nur noch ein Gesellschafter mit 90 % oder mehr (unter Außerachtlassung der von der Gesellschaft selbst gehaltenen Anteile) beteiligt ist. Die gleiche Rechtsfolge kann sich ergeben, wenn entsprechende Gesellschaftsanteile durch Einziehung (§ 34 GmbHG, § 237 AktG) untergehen.