Dr. iur. Holger Bremenkamp, Dr. Wolfgang Kürschner
a) Höhe
Rz. 104
Der Gebührensatz der Verfahrensgebühr beträgt im ersten Rechtszug gemäß Nr. 3100 VV RVG 1,3 und im zweiten Rechtszug gemäß Nr. 3200 VV RVG 1,6. Endigt der Auftrag, bevor der Rechtsanwalt die Klage, den ein Verfahren einleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, eingereicht oder bevor er einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat, so beträgt die erstinstanzliche Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3101 VV RVG nur 0,8; für entsprechende Sachverhalte in der Berufungsinstanz sieht Nr. 3201 VV RVG eine auf 1,1 reduzierte Verfahrensgebühr vor. Vertritt der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit mehrere Auftraggeber, so erhöht sich die Verfahrensgebühr unabhängig von deren Ausgangssatz nach Nr. 1008 VV RVG für jede weitere Person um 0,3, insgesamt höchstens um 2,0. Im gerichtlichen Mahnverfahren beträgt die Verfahrensgebühr für den Antragsteller gemäß Nr. 3305 VV RVG 1,0 (bei vorzeitiger Beendigung 0,5, vgl. Nr. 3306 VV RVG), für den Antragsgegner dagegen gemäß Nr. 3307 VV RVG nur 0,5; eine weitere 0,5 Verfahrensgebühr entsteht im Verfahren auf Erlass des Vollstreckungsbescheids, Nr. 3308 VV RVG.
b) Differenz-Verfahrensgebühr
Rz. 105
Eine Verfahrensgebühr von 0,8 (erste Instanz) bzw. 1,1 (Berufungsinstanz) fällt weiter an, soweit lediglich beantragt wird, eine Einigung der Parteien (auch: mit Dritten) über in diesem Verfahren nicht rechtshängige Ansprüche zu Protokoll zu nehmen oder gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen einer Einigung festzustellen, oder soweit vor Gericht lediglich Verhandlungen zur Einigung über solche Ansprüche geführt werden (Ziff. 2 der Anmerkung zu Nr. 3201 VV RVG). Diese Gebühr entsteht zusätzlich zur Verfahrensgebühr aus dem Wert der rechtshängigen Ansprüche, nämlich aus dem Wert der miterledigten/mitverhandelten nicht rechtshängigen Ansprüche. Häufig übersteigt die Summe dieser beiden Verfahrensgebühren eine 1,3 bzw. 1,6 Verfahrensgebühr aus dem Gesamtwert der rechtshängigen und nicht rechtshängigen Ansprüche; dann erfolgt gemäß § 15 Abs. 3 RVG eine Kappung auf die Gebühr mit dem höheren Gebührensatz aus dem Gesamtstreitwert.
c) Anrechnung einer Geschäftsgebühr
aa) Anrechnungsvoraussetzungen
Rz. 106
Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG wird eine wegen desselben Gegenstands entstehende Geschäftsgebühr nach Teil 2 VV RVG zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die Anrechnung erfolgt dabei nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr erfolgt unter folgenden Voraussetzungen:
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Entstehung einer Geschäftsgebühr nach Teil 2 VV RVG: Die Anrechnung setzt voraus, dass eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 VV RVG angefallen ist. Das ist nicht der Fall, wenn zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300 VV RVG entstanden ist, sondern vielmehr eine zulässige Honorarvereinbarung getroffen wurde. |
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Personeller Zusammenhang zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung: Gebührenrechtlich ist eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG nicht vorzunehmen, wenn außergerichtlich und gerichtlich nicht derselbe Rechtsanwalt für den Kläger tätig war. Für die Anrechnung ist erforderlich, dass außergerichtlich und gerichtlich derselbe Anwalt für den Kläger tätig war. |
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Sachlicher Zusammenhang zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung: Eine Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG hat nur dann zu erfolgen, soweit der Gegenstand der außergerichtlichen und der gerichtlichen Tätigkeit identisch ist. Das ergibt sich aus Vorbem. 3 Abs. 4 S. 5 VV RVG, wonach die Anrechnung sich nach dem Wert des Gegenstands richtet, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit wird nach allgemeiner Auffassung durch das Recht oder das Rechtsverhältnis definiert, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen des ihm von seinem Mandanten erteilten Auftrags bezieht. Dabei ist bei der Bestimmung des Gegenstands keine formale, sondern eine wertende Betrachtungsweise angezeigt. Gegenstandsidentität liegt daher vor und die Geschäftsgebühr ist auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, wenn der Zessionar aus abgetretenem Recht einen durch seinen Prozessbevollmächtigten namens des Zedenten vorgerichtlich geltend gemachten Anspruch einklagt. |
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Zeitlicher Zusammenhang zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung: Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr erfolgt wegen § 15 Abs. 5 S. 2 RVG nicht, wenn seit Erledigung des außergerichtlichen Auftrags mehr als zwei Kalenderjahre vergangen sind. |