Dr. iur. Holger Bremenkamp, Dr. Wolfgang Kürschner
a) Gebührensatz
Rz. 122
Die allgemeine Einigungsgebühr entsteht auch in gerichtlichen Verfahren – einschließlich Prozesskostenhilfeverfahren, vgl. Abs. 2 der Anmerkung zu Nr. 1003 VV RVG –, allerdings mit einem Satz von nur 1,0 bzw. nur 1,3, wenn der Gegenstand der Einigung in der ersten bzw. der Berufungs- oder Revisionsinstanz anhängig ist (vgl. Nr. 1003 und Nr. 1004 VV RVG). Eine Ausnahme bildet das selbstständige Beweisverfahren, in dem es bei dem höheren Satz von 1,5 bleibt, wenn der Einigungsgegenstand dort anhängig ist: Damit wird die Erledigung der Streitsache außerhalb eines ordentlichen Verfahrens prämiert.
b) Voraussetzungen
Rz. 123
Voraussetzung ist unter Mitwirkung des Rechtsanwalts der Abschluss eines Einigungsvertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Honoriert wird damit jede vertragliche Beilegung eines Streits. Nicht ausreichend sind rein prozessuale Gestaltungserklärungen. Auch bloße Zahlungsvereinbarungen – bei denen kein Streit oder keine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis besteht –, die die Erfüllung des Anspruchs bei gleichzeitigem vorläufigen Verzicht auf die gerichtliche Geltendmachung und, wenn bereits ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel vorliegt, bei gleichzeitigem vorläufigen Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen regeln, lösen eine Einigungsgebühr aus, Nr. 1000 Nr. 2 VV RVG. Zum 1.10.2021 ist der Gebührensatz dieser Einigungsgebühr für eine bloße Zahlungsvereinbarung von 1,5 bzw. 1,0 auf einheitlich 0,7 abgesenkt worden.
c) Kein Anerkenntnis und kein Verzicht
Rz. 124
Die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG fällt auch im gerichtlichen Verfahren nicht an, wenn sich der Vertrag ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt. Der von den Beteiligten geschlossene Vertrag darf deshalb nicht das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch ausschließlich zum Inhalt haben. Nur das vollständige (100 %ige) Anerkenntnis eines Anspruchs bzw. der vollständige (100 %ige) Verzicht auf einen Anspruch verhindern die Entstehung der Einigungsgebühr. Stellt der Einigungsvertrag dagegen eine Kombination aus Anerkenntnis des Schuldners und Verzicht des Gläubigers dar, durch den der Streit erledigt wird, kann die Einigungsgebühr anfallen. Das gilt beispielsweise dann, wenn es sich um ein abgesprochenes Teilanerkenntnis nebst Teilklagerücknahme handelt, auch wenn bewusst eine Form der Einigung gewählt wurde, die für sich genommen die kostenrechtlichen Folgen eines formgerechten gerichtlichen Vergleichs vermeidet. Entsprechendes gilt, wenn vereinbarungsgemäß die Klage zurückgenommen wird, wobei die beklagte Partei auf Kostenerstattung verzichtet. Auch die Teilklagerücknahme des Klägers und Anerkenntnis der restlichen Klageforderung durch den Beklagten können daher grundsätzlich die Einigungsgebühr auslösen. Wenn daher eine Einigung die Merkmale eines Vergleichs im Sinne von § 779 BGB erfüllt, entsteht regelmäßig auch eine Einigungsgebühr.
d) Mehrvergleich
Rz. 125
Werden in die Einigung in dem abzurechnenden Verfahren Ansprüche einbezogen, die dort nicht rechtshängig sind, spricht man von einem Mehrvergleich. Die Höhe des Gebührensatzes für die in den Mehrvergleich einbezogenen Gegenstände hängt davon ab, ob diese nirgendwo oder gegebenenfalls in einem anderen gerichtlichen Verfahren rechtshängig sind. Sind sie nirgendwo rechtshängig, beträgt die Einigungsgebühr insoweit 1,5. Sind sie in einem anderen Verfahren in der ersten Instanz anhängig, beträgt die Einigungsgebühr 1,0. Sind sie in einem Berufungs- oder Revisionsverfahren rechtshängig, beträgt der Gebührensatz insoweit 1,3. Berechnet sich die Einigungsgebühr deshalb nach unterschiedlichen Gebührensätzen, darf gemäß § 15 Abs. 3 RVG eine nach dem höchsten anwendbaren Gebührensatz berechnete Gebühr aus dem Gesamtwert der rechtshängigen und nicht rechtshängigen Ansprüche nicht überschritten werden.
e) Besonderheiten in Unfallsachen (Abrechnung)
Rz. 126
Voraussetzung für die Entstehung der Einigungsgebühr ist der Abschluss eines Einigungsvertrags. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die in Verkehrssachen häufige Abrechnung der für vertretbar erachteten Beträge keine Einigungsgebühr auslöst. Die gegnerische Versicherung will dann durch ihre Zahlung gerade keine Einigung herbeiführen, sondern lediglich die ihrer Auffassung nach berechtigten Ansprüche erfüllen. Zweifelhaft ist, ob eine Abrechnung selbst dann noch vorliegt, wenn die Versicherung auf nachträgliches Verlangen des Gläubigers (Nachverhandeln) ihre Zahlung nochmals erhöht. Auch...