I. Erbenfeststellung
Rz. 77
In streitigen Fällen zwischen Erbprätendenten kann neben dem Erbscheinsverfahren auch der Weg über eine Feststellungsklage im Zivilprozess gegangen werden, § 256 Abs. 1 ZPO. Das Erbrecht nach einer bestimmten Person ist ein Rechtsverhältnis, das zu klären ist. Ein Feststellungsinteresse ist deshalb grundsätzlich zu bejahen, auch wenn ein Erbscheinsverfahren bereits betrieben wird oder sogar schon abgeschlossen ist. In der Praxis geht es dabei am häufigsten um die Problembereiche der Testierfreiheit, der Testierunfähigkeit, der Anfechtung oder der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen, der Frage ihres wirksamen Widerrufs oder ihrer Auslegung, also materiellrechtliche Fragen, die grundsätzlich in die Kompetenz eines Schiedsgerichts fallen können.
Für eine Feststellungsklage besteht auch dann ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn ein Erbscheinsverfahren anhängig gemacht werden könnte, während eines laufenden Erbscheinsverfahrens oder wenn ein Erbschein bereits erteilt wurde. Das Schiedsverfahren über die Feststellung eines Erbrechts kann auch nicht wegen eines bereits anhängigen Erbscheinsverfahrens nach § 148 ZPO ausgesetzt werden. Umgekehrt wird aber das Erbscheinsverfahren regelmäßig gem. § 21 Abs. 1 FamFG auszusetzen sein, wenn ein Schiedsverfahren anhängig ist, aber auch erst dann.
Sollte einer positiven Feststellungsklage stattgegeben werden, so steht im Verhältnis der beiden Prozessparteien fest, dass der Kläger Erbe geworden ist, denn der ergehende Schiedsspruch wirkt zwischen den Schiedsparteien wie ein rechtskräftiges Urteil, § 1055 ZPO.
Rz. 78
Der wesentlichste Unterschied zwischen einem Erbschein und einem Schiedsspruch im Feststellungsschiedsverfahren besteht darin, dass ein Erbschein weder in formelle noch in materielle Rechtskraft erwachsen kann – im Gegensatz zum Feststellungsschiedsspruch bzw. -urteil.
Der Erbschein erzeugt eine Richtigkeitsvermutung nach § 2365 BGB und eine Rechtsscheinwirkung nach § 2366 BGB, erwächst aber nicht in Rechtskraft; er wirkt inter omnes. Der Schiedsspruch hingegen erwächst in formelle und materielle Rechtskraft, wirkt aber nur inter partes. Das Erbscheinsverfahren selbst und das sich daran anschließende Beschwerdeverfahren sind der Schiedsgerichtsbarkeit nicht zugänglich.
Rz. 79
Für das Erbscheinsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG, während für den Feststellungsprozess der Beibringungsgrundsatz gilt.
Ausgangspunkt ist die vollkommen andere Situation der an einem FG-Verfahren beteiligten Personen im Vergleich zum Schiedsverfahren bzw. zum Zivilprozess. Während im Schiedsverfahren aufgrund des dort – wie im allgemeinen Zivilprozess – geltenden formellen Parteibegriffs die Person des Klägers und des Beklagten und damit der jeweiligen Prozesspartei ohne Weiteres aus der Klageschrift entnommen werden und damit die formale Rechtsstellung des Betroffenen festgestellt werden kann, sind die Beteiligten im Erbscheinsverfahren zunächst als solche vom Nachlassgericht auszumachen.
Rz. 80
Die Beteiligten des Erbscheinsverfahrens nennt das FamFG und unterscheidet zwischen "Muss-Beteiligten" und "Kann-Beteiligten" unter Aufgabe der bisherigen Begriffe des "formell Beteiligten" und des "materiell Beteiligten". Nach §§ 7 u. 345 Abs. 1 S. 1 FamFG ist nur der Antragsteller zwingend Beteiligter ("Muss-Beteiligter"). Die gesetzlichen Erben bei testamentarischer Erbfolge oder die in anderen Testamenten des Erblassers bedachten Personen müssen nach § 345 Abs. 1 S. 3 FamFG nur beteiligt werden, wenn sie dies beantragen.
Diese Regelung greift vor dem zwingenden Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs gem. § 103 Abs. 1 GG zu kurz.
Entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 6.11.2008 ist den "materiell Beteiligten" zwingend rechtliches Gehör zu gewähren und § 345 FamFG, der in dieser Beziehung zu kurz greift, verfassungskonform auszulegen.
BVerfG:
Zitat
"Art. 103 Abs. 1 GG ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten. Das gilt – unabhängig davon, ob die Anhörung im Gesetz vorgesehen ist – auch für Verfahren, die vom Untersuchungsgrundsatz (§ 12 FGG) [jetzt § 26 FamFG] beherrscht werden. Auf eine förmliche Beteiligtenstellung kommt es nicht an. Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht vielmehr jedem zu, demgegenüber die gerichtliche Entscheidung materiellrechtlich wirkt und der deshalb von dem Verfahren rechtlich unmittelbar betroffen wird."
Es bedarf hier einer verfassungskonformen Auslegung von § 345 FamFG in der Weise, dass die dort genannten "Kann-Beteiligten" als "Muss-Beteiligte" zu behandeln sind.
Rz. 81
Sind die Parteien eines Zivilprozesses identisch mit den "materiell Beteiligten" eines Erbscheinserteilungsverfahrens, denen nach BVerfG rechtliches Gehör zu gewähren ist, so wirkt die Rechtskraft eines Erbenfeststellungsurteils nach BayObLG insofern, als das Nachlassgericht denjenigen einen Erbschein über ihr Erbrecht zu erteilen hat, deren Erbrecht rechtskräftig festgeste...