Rz. 266
War der Anwalt im vorangegangenen Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig, so ist eine dort verdiente Geschäftsgebühr aus der Hauptsache nicht anzurechnen. Eilsache und Hauptsache betreffen verschiedene Streitgegenstände, sodass das Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren damit gerade kein dem einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz vorausgehendes Verfahren ist. Das einstweilige Anordnungsverfahren ist gegenüber dem Hauptsacheverfahren gem. § 17 Nr. 4 RVG eine eigene selbstständige Angelegenheit. Ein parallel dazu oder bereits zuvor eingeleitetes Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren ist nicht als Vorverfahren zu dem einstweiligen Anordnungsverfahren zu werten, sondern als Vorverfahren zur Hauptsache, sodass im einstweiligen Anordnungsverfahren eine Anrechnung nicht in Betracht kommt. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes stellen sowohl außergerichtlich (siehe § 17 Nr. 1 RVG) als auch gerichtlich (siehe § 17 Nr. 4 RVG) Hauptsache und Eilverfahren verschiedene Angelegenheiten dar, die gebührenrechtlich gesondert zu vergüten sind. Daher kann in Sozialsachen die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr in der Hauptsache nur dann vorgenommen werden, wenn der Anwalt auch in der Hauptsache bereits im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig war und im einstweiligen Anordnungsverfahren nur, wenn er auch im Hinblick auf eine vorläufige Regelung vor der Verwaltungsbehörde tätig war. Es bleibt daher bei der anrechnungsfreien Verfahrensgebühr der Nr. 3102 VV. Die überwiegende Rspr. befürwortet dagegen eine Anrechnung. Sie begründet dies mit "Synergieeffekten" und verkennt dabei, dass es darauf nicht ankommt, sondern nur auf die Identität des Streitgegenstands. Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr kommt daher nach zutreffender Auffassung nur dann in Betracht, wenn der Anwalt bereits hinsichtlich Anordnung der sofortigen Vollziehung, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Wiederherstellung der sofortigen Vollziehung oder Aufhebung der sofortigen Vollziehung vor der Behörde tätig war (siehe dazu Rdn 250 ff.).
Beispiel 147: Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit vorangegangener Tätigkeit im Nachprüfungsverfahren und Tätigkeit im Hauptsacheverfahren
Der Anwalt war bereits im Widerspruchsverfahren beauftragt und wird nach Erlass des Widerspruchsbescheides mit der Anfechtungsklage und dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beauftragt. Über den Antrag wird ohne mündliche Verhandlung entschieden. In der Hauptsache wird verhandelt.
Während im Anordnungsverfahren die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV anrechnungsfrei anfällt, ist im Hauptsacheverfahren die auf die Verfahrensgebühr der Nr. 3102 VV die vorangegangene Geschäftsgebühr des Widerspruchsverfahrens hälftig anzurechnen.
I. |
Widerspruchsverfahren |
1. |
Geschäftsgebühr, Nr. 2302 Nr. 1 VV |
|
414,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
434,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
82,46 EUR |
Gesamt |
|
516,46 EUR |
II. |
Rechtsstreit |
1. |
Verfahrensgebühr, Nrn. 3102 VV |
|
360,00 EUR |
2. |
gem. Vorbem. 2 Abs. 4 VV anzurechnen |
|
– 207,00 EUR |
3. |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV |
|
335,00 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
508,00 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
96,52 EUR |
Gesamt |
|
604,52 EUR |
III. |
Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vor dem Sozialgericht |
1. |
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
|
360,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
380,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
72,20 EUR |
Gesamt |
|
452,20 EUR |
Rz. 267
War der Anwalt auch schon im Verwaltungsverfahren tätig, entsteht aus der Hauptsache für das Verwaltungsverfahren die Gebühr nach Nr. 2302 Nr. 1 VV und für das Widerspruchsverfahren die Geschäftsgebühr der Nr. 2302 Nr. 1 VV unter hälftiger Anrechnung der vorangegangenen Geschäftsgebühr des Verwaltungsverfahrens (Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 1 VV).
Beispiel 148: Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sowie Tätigkeit im Hauptsacheverfahren mit vorangegangener Tätigkeit im Verwaltungsverfahren und im Nachprüfungsverfahren
Der Anwalt war bereits im Verwaltungsverfahren beauftragt. Gegen den Bescheid legt er Widerspruch ein. Nach Erlass des Widerspruchsbescheids wird er mit der Anfechtungsklage und dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beauftragt. Über den Antrag wird ohne mündliche Verhandlung entschieden. In der Hauptsache wird verhandelt.
I. |
Verwaltungsverfahren |
1. |
Geschäftsgebühr, Nr. 2302 Nr. 1 VV |
|
414,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
434,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
82,46 EUR |
Gesamt |
|
516,46 EUR |
II. |
Widerspruchsverfahren |
1. |
Geschäftsgebühr, Nr. 2302 Nr. 1 VV |
|
414,00 EUR |
2. |
gem. Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV anzurechnen |
|
– 207,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
227,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
41,13 EUR |
Gesamt |
|
270,13 EU... |