Rz. 201

Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein (§ 109 Abs. 2 GewO). Die Formulierung des Zeugnisses ist dem Grundsatz nach allein Sache des Arbeitgebers; die Wahl bestimmter Ausdrücke kann ihm der Arbeitnehmer grds. nicht vorschreiben. Weder Wortwahl noch Satzstellung noch Auslassungen dürfen jedoch dazu führen, dass bei Dritten – der Wahrheit nicht entsprechende – Vorstellungen erweckt werden (BAG v. 23.6.1960, AP Nr. 1 zu § 73 HGB m. Anm. A. Hueck). Das Zeugnis darf nicht mit Merkmalen (Geheimzeichen) oder mit geheimen bzw. verschlüsselten Kennzeichen oder Formulierungen versehen werden, welche den Zweck haben, den Arbeitnehmer in einer aus dem Wortlaut des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu charakterisieren (§ 109 Abs. 2 S. 2 GewO = § 113 Abs. 3 GewO a.F.).

 

Rz. 202

Auf der anderen Seite ist aber nicht zu übersehen, dass sich in der betrieblichen Praxis in den letzten Jahren zunehmend ein allgemeiner Sprachgebrauch für die Zeugnisformulierung (Zeugnissprache) herausgebildet hat, deren sich der Arbeitgeber grds. zu bedienen hat sowie bei der Beurteilung des Arbeitnehmers den nach der Verkehrssitte üblichen Maßstab anzulegen hat (LAG Düsseldorf v. 30.1.1956 – 5 Sa 588/55; BAG v. 12.8.1976, AP Nr. 11 zu § 630 BGB m. Anm. Schleßmann = EzA § 630 BGB Nr. 7; ArbG Naumburg v. 18.11.2004 – 1 Ca 1490/04, n.v.; s. zur Zeugnissprache und Zeugnisgestaltung: Weuster, BB 1992, 58; Berscheid, WPrax Heft 17/1994, 2, 4 ff.).

a) Doppelbödige Zeugnisformulierungen

 

Rz. 203

Ein Zeugnis darf nicht in sich widersprüchlich sein (LAG Hamm v. 17.12.1998 – 4 Sa 630/98, BB 2000, 1090 m. Anm. Schleßmann = MDR 1999, 1073). Dabei taucht immer wieder die Frage auf, ob es "verschlüsselte oder doppelbödige" Zeugnisformulierungen oder gar einen "Geheimcode" gibt und was davon zu halten ist. Aus Gewerkschaftskreisen wird seit 1972 immer wieder der Vorwurf erhoben, die Arbeitgeber benutzten für die Zeugnisausstellung einen "Geheimcode". Eine Liste mit verschlüsselten Formulierungen und Klartexten wurde auszugsweise in Presse, Funk und Fernsehen veröffentlicht. Es ist das Verdienst der Sprachwissenschaft (s. die Nachweise bei Berscheid, WPrax Heft 17/1994, 2, 4), eine Reihe "beschönigender" Zeugnisformulierungen ("Zeugniscode") nebst Übersetzung erstmals vollständig veröffentlicht und ausgewertet und damit für die Rspr. nutzbar gemacht zu haben. Wie schwer die jeweiligen Formulierungen in Klartext übersetzbar sind, hängt von der Art der Verschlüsselung und von den Vorkenntnissen des Beurteilten oder Deutenden ab. Je geringer das Vorwissen des Beurteilten oder Deutenden ist, desto eher wird er den in ihrer alltagssprachlichen Bedeutung harmlos oder positiv klingenden Formulierungen aufsitzen. Vielfach bedeutet Lob in Wahrheit Kritik, wie einige Beispiele zeigen mögen (s. dazu LAG Hamm v. 28.3.2000 – 4 Sa 648/99, BB 2000, 2578; LAG Hamm v. 17.12.1998, BB 2000, 1090 m. Anm. Schleßmann = MDR 1999, 1073; Berscheid, WPrax 1994, 2, 4 m.w.N.; ferner Heine, Das Arbeitszeugnis, S. 105 ff.; Nasemann, Capital 1993, 193, 200; Weuster, BB 1992, 58, 61; Schulz, Alles über Arbeitszeugnisse).

 

Rz. 204

 
Zeugniscode  
Formulierung Bedeutung
Er hat alle Arbeiten ordnungsgemäß erledigt. Er ist ein Bürokrat, der keine Eigeninitiative entwickelt.
Sie hat alle Aufgaben mit der ihr eigenen Art und Sorgfalt erledigt. Sie hat umständlich, ineffektiv gearbeitet und dabei zudem noch geringe Sorgfalt an den Tag gelegt.
Wegen ihrer Pünktlichkeit war sie stets ein gutes Vorbild. Ihre Leistungen lagen weit unter dem Durchschnitt, sie war in jeder Hinsicht eine Niete.
Sie bemühte sich, den Anforderungen gerecht zu werden. Sie hat auf der ganzen Linie versagt.
Er ist ein eifriger Mitarbeiter, welcher die ihm gemäßen Aufgaben schnell und sicher erledigt. Er hat sich stets bemüht, die anspruchsarmen Aufgaben zu bewältigen.
Er hat sich im Rahmen seiner Fähigkeiten eingesetzt. Er hat getan, was er konnte, aber viel ist dabei nicht herausgekommen.
Alle Arbeiten … erledigte sie mit großem Fleiß. Sie war eifrig, aber nicht besonders tüchtig.
Gerne bestätigen wir, dass er sich mit Fleiß und Ehrlichkeit seiner Arbeit widmete. Leider fehlte ihm jegliche fachliche Qualifikation.
Er war immer mit Interesse bei der Sache. Er hat sich angestrengt, aber nichts geleistet.
Sie war Neuem ggü. stets sehr aufgeschlossen. Sie hat es nicht geschafft, das Ganze dann auch in die Praxis umzusetzen.
Er zeigte Verständnis für die anfallenden Arbeiten. Er hatte keinen eigenen Antrieb, sondern war faul und hat nichts geleistet.
Sie hat ihre Aufgaben in der heutzutage üblichen Art und Weise erledigt. Sie zeigte eine geringe Arbeitsmoral und fehlte häufig krankheitsbedingt.
Sie war stets bestrebt, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Sie hat sich stets sehr bemüht, war aber erfolglos.
Er widmete sich seinen Aufgaben mit besonderer Neigung. Er verzettelt sich und wird mit der Arbeit nicht fertig.
Sie verstand es hervorragend, ihre Aufgaben zu delegieren. Statt sie selbst zu erledigen, hat diese Nicht-Führungskraft die Arbeiten weiterg...

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