Rz. 164

Das Zeugnis muss wahr sein und darf dort keine Auslassungen enthalten, wo der Leser eine positive Hervorhebung – etwa der Ehrlichkeit – erwartet. Die Zuverlässigkeit eines ausscheidenden Arbeitnehmers kann für den neuen Arbeitgeber von besonderer Wichtigkeit sein. Dies gilt vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer bisher mit Geld oder anderen Vermögenswerten umgegangen ist und dies auch künftig tun soll.

 

Rz. 165

Die besondere Erwähnung der Ehrlichkeit kann gefordert werden, wenn branchenüblich davon ausgegangen wird, dass beim Fehlen des Wortes Zweifel an der Ehrlichkeit des Arbeitnehmers bestehen (vgl. LAG Hamm v. 31.1.2019 – 11 Sa 795/18; juris). Das ist insb. bei Handlungsgehilfen, Kassierern, Laden- und Fahrverkäufern, Auslieferungsfahrern, Filialleitern, Außendienstmitarbeitern (wegen Spesenabrechnungen), Hotelpersonal, Hausgehilfen der Fall (LAG Hamm v. 29.7.2005, dbr 2006, Nr. 7, 40 m. Anm. Lenz = RDV 2006, 213). Der neue Arbeitgeber erwartet bei Arbeitnehmern, die bisher mit Geld oder anderen Vermögenswerten umgegangen sind und dies auch künftig tun sollen, eine Aussage über die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers. Diese Ehrlichkeit ist – nur – in diesen Fällen expressis verbis zu bescheinigen, wenn der bisherige Arbeitgeber keine gegen ein ehrliches Verhalten sprechenden Tatsachen vorträgt. Ohne einen solchen Vermerk besteht für Arbeitnehmer im Einzelhandel praktisch keine Chance auf eine Anstellung (LAG Hamm v. 29.7.2005, dbr 2006, Nr. 7, 40 = RDV 2006, 213). Mit anderen Worten, die Ehrlichkeit ist nur, aber immer dann zu bescheinigen, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar mit der Bearbeitung bzw. Verwaltung von Kassenvorgängen oder Warenlagern oder sonstigen Vermögenswerten betraut gewesen ist und wenn keine Tatsachen vorliegen, die gegen ein ehrliches Verhalten sprechen (BAG v. 29.7.1971, AP Nr. 6 zu § 630 BGB m. Anm. Schnorr von Carolsfeld = EzA § 630 BGB Nr. 1; BAG v. 8.2.1972, AP Nr. 7 zu § 630 BGB = EzA § 630 BGB Nr. 3). Bescheinigt nämlich ein Arbeitgeber seinem ehemaligen Arbeitnehmer im Zeugnis äußerte Zuverlässigkeit in einer treu erfüllten Vertrauensstellung, obwohl dieser einige Jahre zuvor einen hohen Geldbetrag entwendet hatte, ist das Zeugnis grob falsch und geeignet einen künftigen Arbeitgeber zu täuschen. Entsteht dem neuen Arbeitgeber durch eine erneute Entwendung seitens des Arbeitnehmers ein Schaden, haftet ihm der frühere Arbeitgeber aus dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie wegen sittenwidriger Schädigung auf Schadensersatz, sofern das falsche Zeugnis für die Neu- bzw. Weiterbeschäftigung ursächlich war (OLG München v. 30.3.2000, OLGR München 2000, 337).

 

Rz. 166

Problematisch ist die Bescheinigung der Ehrlichkeit im Arbeitszeugnis einer Kassiererin in einem Lebensmittelmarkt, die bei mehreren Testkäufen die vorgeschriebene Kassenregistrierung der vereinnahmten Beträge unterlassen hatte, ohne dass der Kassenabschluss die entsprechende Plus-Differenz ergeben hatte, und deshalb wegen des Verdachts der Unterschlagung entlassen worden ist. Einerseits ist die Aufnahme des Verdachtes einer strafbaren Handlung in das Zeugnis zwar im Allgemeinen mit Treu und Glauben nicht vereinbar und daher unzulässig, andererseits aber ist der Arbeitgeber zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen künftiger Arbeitgeber oder Kreditgeber zum Widerruf des Zeugnisses verpflichtet, wenn er einer Kassiererin Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit bescheinigt hat und sich später herausstellt, dass sie Unterschlagungen begangen hat. Hier kann einem Arbeitgeber nur geraten werden, den Ehrlichkeitsvermerk zu unterlassen, auch wenn dies im Zeugnis einer Kassiererin eine negative Aussage durch "beredtes Schweigen" bedeutet (LAG Köln v. 30.7.1999, LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11 = NZA-RR 2000, 189, 190). Möglicherweise gerät der Arbeitgeber in einem Zeugnisberichtigungsprozess, weil er nicht Unehrlichkeit, sondern nur Umstände für einen Verdacht beweisen kann. Im Fall seiner Verurteilung zur Bescheinigung der Ehrlichkeit im Zeugnis setzt er sich aber keinerlei Schadensersatzansprüchen aus, wenn er der Gerichtsentscheidung nachkommt.

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