Rz. 198

Oberster Grundsatz bei der Ausstellung von Zeugnissen ist, dass das Zeugnis ein wahres, nicht durch Voreingenommenheit getrübtes und die gesamte Tätigkeit umfassendes Urteil enthalten muss. Der Arbeitgeber ist bei der Ausstellung des Zeugnisses frei, welche Leistungen und Eigenschaften seines Arbeitnehmers er mehr hervorheben oder zurücktreten lassen will (BAG v. 23.9.1992, EzA § 630 BGB Nr. 16 m. Anm. Haupt). Das Zeugnis muss nur wahr sein und darf auch dort keine Auslassungen enthalten, wo der Leser eine positive Hervorhebung erwartet, wie etwa die Ehrlichkeit eines Kassierers (BAG v. 29.7.1971, AP Nr. 6 zu § 630 BGB m. Anm. Schnorr von Carolsfeld = EzA § 630 BGB Nr. 1).

 

Rz. 199

Das Zeugnis ist dabei nach Form und Stil objektiv abzufassen, wobei der Verkehrssitte Rechnung zu tragen ist, die mit bestimmten Formulierungen den Ausdruck des Tadels verbindet oder in Zeugnissen bestimmter Arbeitnehmergruppen die Attestierung gewisser Eigenschaften verlangt, denn der neue Arbeitgeber wird regelmäßig davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer diejenigen Qualitäten besitzt, die diesem nach der als innegehabt ausgewiesenen, beruflichen Stellung beizumessen sind (LAG Hamm v. 13.2.1992, LAGE § 630 BGB Nr. 16 m.w.N.).

 

Rz. 200

In einem Zeugnis müssen zur Beschreibung der Tätigkeit des Arbeitnehmers die gesetzlichen, tariflichen oder verkehrsüblichen Bezeichnungen gebraucht werden. Es müssen alle für die Beurteilung von Führung und Leistung des Arbeitnehmers wichtigen Tatsachen so genau angegeben werden, dass sich der neue Arbeitgeber ein vollständiges und klares Bild von der Persönlichkeit und der Befähigung des Arbeitnehmers machen kann.

1. Zeugnissprache und "Verschlüsselungen"

 

Rz. 201

Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein (§ 109 Abs. 2 GewO). Die Formulierung des Zeugnisses ist dem Grundsatz nach allein Sache des Arbeitgebers; die Wahl bestimmter Ausdrücke kann ihm der Arbeitnehmer grds. nicht vorschreiben. Weder Wortwahl noch Satzstellung noch Auslassungen dürfen jedoch dazu führen, dass bei Dritten – der Wahrheit nicht entsprechende – Vorstellungen erweckt werden (BAG v. 23.6.1960, AP Nr. 1 zu § 73 HGB m. Anm. A. Hueck). Das Zeugnis darf nicht mit Merkmalen (Geheimzeichen) oder mit geheimen bzw. verschlüsselten Kennzeichen oder Formulierungen versehen werden, welche den Zweck haben, den Arbeitnehmer in einer aus dem Wortlaut des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu charakterisieren (§ 109 Abs. 2 S. 2 GewO = § 113 Abs. 3 GewO a.F.).

 

Rz. 202

Auf der anderen Seite ist aber nicht zu übersehen, dass sich in der betrieblichen Praxis in den letzten Jahren zunehmend ein allgemeiner Sprachgebrauch für die Zeugnisformulierung (Zeugnissprache) herausgebildet hat, deren sich der Arbeitgeber grds. zu bedienen hat sowie bei der Beurteilung des Arbeitnehmers den nach der Verkehrssitte üblichen Maßstab anzulegen hat (LAG Düsseldorf v. 30.1.1956 – 5 Sa 588/55; BAG v. 12.8.1976, AP Nr. 11 zu § 630 BGB m. Anm. Schleßmann = EzA § 630 BGB Nr. 7; ArbG Naumburg v. 18.11.2004 – 1 Ca 1490/04, n.v.; s. zur Zeugnissprache und Zeugnisgestaltung: Weuster, BB 1992, 58; Berscheid, WPrax Heft 17/1994, 2, 4 ff.).

a) Doppelbödige Zeugnisformulierungen

 

Rz. 203

Ein Zeugnis darf nicht in sich widersprüchlich sein (LAG Hamm v. 17.12.1998 – 4 Sa 630/98, BB 2000, 1090 m. Anm. Schleßmann = MDR 1999, 1073). Dabei taucht immer wieder die Frage auf, ob es "verschlüsselte oder doppelbödige" Zeugnisformulierungen oder gar einen "Geheimcode" gibt und was davon zu halten ist. Aus Gewerkschaftskreisen wird seit 1972 immer wieder der Vorwurf erhoben, die Arbeitgeber benutzten für die Zeugnisausstellung einen "Geheimcode". Eine Liste mit verschlüsselten Formulierungen und Klartexten wurde auszugsweise in Presse, Funk und Fernsehen veröffentlicht. Es ist das Verdienst der Sprachwissenschaft (s. die Nachweise bei Berscheid, WPrax Heft 17/1994, 2, 4), eine Reihe "beschönigender" Zeugnisformulierungen ("Zeugniscode") nebst Übersetzung erstmals vollständig veröffentlicht und ausgewertet und damit für die Rspr. nutzbar gemacht zu haben. Wie schwer die jeweiligen Formulierungen in Klartext übersetzbar sind, hängt von der Art der Verschlüsselung und von den Vorkenntnissen des Beurteilten oder Deutenden ab. Je geringer das Vorwissen des Beurteilten oder Deutenden ist, desto eher wird er den in ihrer alltagssprachlichen Bedeutung harmlos oder positiv klingenden Formulierungen aufsitzen. Vielfach bedeutet Lob in Wahrheit Kritik, wie einige Beispiele zeigen mögen (s. dazu LAG Hamm v. 28.3.2000 – 4 Sa 648/99, BB 2000, 2578; LAG Hamm v. 17.12.1998, BB 2000, 1090 m. Anm. Schleßmann = MDR 1999, 1073; Berscheid, WPrax 1994, 2, 4 m.w.N.; ferner Heine, Das Arbeitszeugnis, S. 105 ff.; Nasemann, Capital 1993, 193, 200; Weuster, BB 1992, 58, 61; Schulz, Alles über Arbeitszeugnisse).

 

Rz. 204

 
Zeugniscode  
Formulierung Bedeutung
Er hat alle Arbeiten ordnungsgemäß erledigt. Er ist ein Bürokrat, der keine Eigeninitiative entwickelt.
Sie hat alle Aufgaben mit der ihr eigenen Art und Sorgfalt erledigt. Sie hat umständlich, ineffektiv gearbeitet und dabei ...

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