Rz. 33

Zum leichteren Verständnis wird eine Auflistung der Fallgruppen vorgenommen, in denen nach den obigen Ausführungen keine Pflicht zur Anerkennung folgt:

aa) Keine Erteilung einer Fahrerlaubnis – Führerscheinausstellung ohne Eignungsprüfung

 

Rz. 34

Stellt sich eine Führerscheinausstellung nicht als Erteilung einer FE dar, so besteht keine Anerkennungspflicht. Denn eine in einem solchen Fall erfolgende bloße Erneuerung des Dokuments zieht keine Pflicht zur Anerkennung nach sich. Gegenseitig anzuerkennen ist nur eine von einem anderen Mitgliedstaat erteilte FE. Das setzt eine Prüfung des Ausstellerstaates voraus. Zur Unterscheidung einer Fahrerlaubniserteilung und der bloßen Führerscheinerteilung (lediglich Neuausstellung des Dokuments) wird auf die Darstellungen oben in Rdn 5 ff. verwiesen.

 

Rz. 35

Wenn ein EU-Mitgliedstaat einem FE-Inhaber, dem im Inland zuvor die FE entzogen wurde, eine FE ohne Prüfung der Fahreignung oder wenigstens der Entsprechung der Fahrerlaubnisklassen[82] erteilt, so ist dieser im Inland nicht anzuerkennen. Denn eine Erteilung aufgrund einer Prüfung der von dem anderen EU-Mitgliedstaat hierfür aufgestellten Voraussetzungen, die eine Anerkennung rechtfertigt, fehlt.[83]

Wird ein EU-Führerschein durch Umtausch eines deutschen Führerscheins in den eines anderen Mitgliedstaates erlangt, wobei die deutsche FE zuvor entzogen war, gilt dies ebenso. Denn der bloße Umtausch ohne eine Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen bedingt keine gegenseitige Anerkennung.[84]

[83] BVerwG v. 29.1.2009, zfs 2009, 714; Maierhöfer, DAR 2009, 684.
[84] NdsOVG v. 8.5.2009, DAR 2009, 408.

bb) Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip

 

Rz. 36

Ergibt sich aus dem Führerschein selbst oder aus anderen vom Ausstellerstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen, dass bei der Ausstellung das Wohnsitzprinzip nicht eingehalten wurde, so darf der Aufenthaltsstaat die Anerkennung des Führerscheins verweigern.[85] Das ist in § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV ausdrücklich geregelt.

Eine Pflicht zur Anerkennung eines EU-Führerscheins in einem anderen Mitgliedstaat der EU besteht auch dann nicht, wenn ein Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip offensichtlich ist und gegen den Führerscheininhaber in dem Aufenthaltsstaat, der den Führerschein anerkennen soll, noch keine führerscheinrechtlichen Maßnahmen, insbesondere ein Entzug der FE, ergriffen worden waren.[86]

[85] EuGH v. 26.6.2008 – C- 329/06, Rechtssache "Wiedemann"; C-343/06, Rechtssache "Funk", NJW 2008, 2403; C-334/06, Rechtssache "Zerche"; C-335/06, Rechtssache "Schubert"; C-336/06, Rechtssache "Seuke".
[86] EuGH v. 19.5.2011 – C-184/10, Rechtssache "Grasser", zfs 2011, 413 = jurisPR-VerkR 15/11, Anm. 6, Zwerger; vgl. hierzu auch VGH BW v. 30.5.2011 – 10 S 2640/10: Hier ist auch auf den besonderen Fall eines Vergleichs eingegangen, dass der Betroffene angesichts des schwebenden Verfahrens vor dem EuGH nicht zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wegen vorangegangener Auffälligkeiten verpflichtet wurde.

cc) Führerscheinerteilung während laufender Sperrfrist oder während laufenden Fahrverbots

 

Rz. 37

Wird eine EU-Fahrerlaubnis vor Ablauf einer Sperrfrist für die Wiedererteilung, die durch ein inländisches Gericht verhängt wurde, wieder erteilt, besteht auch nach Maßgabe des Art. 8 Abs. 4 der Zweiten Führerschein-Richtlinie/Art. 11 Abs. 4 der Dritten Führerschein-Richtlinie keine Pflicht zur Anerkennung des entsprechenden EU-Führerscheins. Das gilt ausdrücklich auch nach Ablauf der Sperrfrist. Eine entgegen der Verfügung einer Sperrfrist erteilte FE eines anderen Mitgliedstaats "erstarkt" auch nach Ablauf der Sperrfrist nicht zu einer gültigen FE, die anerkannt werden muss.[87] Wer dennoch von einer solchen FE Gebrauch macht, macht sich wegen Fahrens ohne FE strafbar.[88]

Das gleiche gilt auch, wenn ein Führerschein in einem anderen EU-Staat erteilt wird, während im Aufenthaltsstaat ein Fahrverbot gegen den Führerscheininhaber läuft. Auch hier darf der Aufenthaltsstaat auch nach Ablauf des Fahrverbots die Anerkennung des Führerscheins verweigern.[89]

[87] EuGH v. 3.7.2008 – C-225/07, Rechtssache "Möginger", DAR 2008, 582; a.A. noch vor der Entscheidung des EuGH: VG Augsburg v. 12.2.2008, zfs 2008, 235.
[88] Ebenso: OLG Stuttgart v. 15.1.2007, zfs 2007, 170; a.A. OLG München v. 29.1.2007, NZV 2007, 214; OLG Bamberg v. 24.7.2007, zfs 2007, 536.

dd) Eignungszweifel sind nach Ausstellung der im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnis entstanden

 

Rz. 38

Soweit die Umstände, die Fahreignungszweifel begründen, nach Ausstellung der ausländischen FE entstanden sind, darf der Mitgliedstaat entsprechend Art. 8 Abs. 2 der Zweiten Führerschein-Richtlinie/Art. 11 Abs. 2 der Dritten Führerschein-Richtlinie seine Vorschriften über den Entzug bzw. die Einschränkung der FE auf den Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis anwenden.[90]

 

Rz. 39

Der EuGH hat klargestellt, dass das Verhalten wenigstens einen partiellen Bezug zum Verhalten nach Ausstellung des EU-Führerscheins haben muss.[91] Das bedeutet, dass auch vor der Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis verwirklichte Umstände in Zusammenhang mit nach der Erteilung liegenden Umständen berücksichtigt werden dürfen.

 

Rz. 40

Typische Fälle für die Verw...

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