Rz. 6
Eine Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit kann der Betroffene nur erreichen, wenn er vom Gericht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden wird. Das setzt einen Antrag des Betroffenen, der keiner besonderen Form bedarf (OLG Zweibrücken zfs 2018, 50) und vom Verteidiger auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung mündlich gestellt werden kann (OLG Bamberg zfs 2015, 50; KG NZV 2017, 290) voraus, da der Richter diesen selbst dann nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbinden kann, wenn auch er das Erscheinen des Betroffenen als überflüssig und unverhältnismäßig ansieht.
Rz. 7
Achtung: Keine Entbindung von Amts wegen
Das bedeutet gleichzeitig auch, dass der Richter einen ausreichend entschuldigten Betroffenen nicht ohne einen entsprechenden Antrag vom persönlichen Erscheinen entbinden und die Hauptverhandlung in dessen Abwesenheit durchführen kann (OLG Brandenburg NZV 2003, 587; BayObLG NZV 2004, 155; Thüringer OLG zfs 2006, 348; KG DAR 2011, 314). Das gilt auch für eine in Anwesenheit des Verteidigers lediglich fortgesetzte Hauptverhandlung (OLG Bamberg DAR 2006, 218).
Ebenso wenig kann er einen Verlegungsantrag des Betroffenen in einen Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen umdeuten (OLG Hamm VRS 108, 274). Der Betroffene hat nämlich ein Recht auf Anwesenheit. Daran hat auch die seit 1.3.1998 bestehende Anwesenheitspflicht des Betroffenen nichts geändert.
Rz. 8
Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Betroffene durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung vertreten ist (BayObLG DAR 2000, 174). Allerdings kann ein mit einer Vertretungsvollmacht ausgestatteter Verteidiger – wie dies auch der Betroffene selbst könnte – auf das Anwesenheitsrecht des Betroffenen wirksam verzichten (vgl. § 2 Rdn 15).
Rz. 9
Achtung: Entbindungsantrag des Verteidigers nur mit Erklärungsvollmacht möglich
Da in einem solchen Antrag gleichzeitig ein Verzicht auf das Anwesenheitsrecht des Betroffenen liegt, kann der Antrag nur von einem Verteidiger gestellt werden, dessen schriftliche Vertretungsvollmacht dem Gericht vorliegt (OLG Bamberg NStZ 2007, 180; OLG Zweibrücken zfs 2011, 97; KG zfs 2015, 468), eine Telefaxkopie der Vollmacht genügt (OLG Hamm zfs 2004, 42).
Der Unterbevollmächtigte, der von einem mit schriftlicher Erklärungsvollmacht versehenen Hauptbevollmächtigten beauftragt wurde, braucht dagegen keine eigene schriftliche Vollmacht (OLG Celle DAR 2010, 708; OLG Bamberg zfs 2015, 50).
Rz. 10
Unverständlicherweise lassen sich viele Verteidiger nur eine Verteidigungsvollmacht und nicht auch noch eine darüberhinausgehende und für das Verkehrsrecht besonders wichtige Vertretungsvollmacht unterschreiben.
Die von Verteidigern mit einer bloßen Verteidigungsvollmacht gestellten Entbindungsanträge sind nämlich ausnahmslos unzulässig. Amtsrichter übersehen dies zwar glücklicherweise meist, es fällt jedoch spätestens in der Rechtsbeschwerdeinstanz auf. Zur ordnungsgemäßen Begründung einer entsprechenden Rechtsbeschwerde gehört nämlich der Vortrag, dass die schriftliche Vertretungsvollmacht des Verteidigers im Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen hatte (OLG Bamberg NStZ 2007, 180; siehe auch § 34 Rdn 78 ff.).
Rz. 11
Achtung: Anspruch auf rechtzeitige Bescheidung des Antrages
Der Betroffene hat einen Anspruch auf (rechtzeitige) Bescheidung seines Entbindungsantrages. Wird der Antrag nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht beschieden, ist das Ausbleiben des Betroffenen entschuldigt (OLG Hamm DAR 2003, 430; OLG Zweibrücken zfs 2012, 229; OLG Bamberg zfs 2019, 409).
Rechtzeitig gestellt ist jedenfalls ein zumindest vier Stunden vor Beginn der Hauptverhandlung bei Gericht eingegangener Antrag (OLG Bamberg NZV 2008, 259; zfs 2019, 409; vgl. im Einzelnen Rdn 62 ff.).
Das Gericht kann den Antrag zwar zunächst ohne Begründung ablehnen, es muss jedoch spätestens im Urteil sowohl die Antragsbegründung des Betroffenen (OLG Bamberg zfs 2008, 413) als auch die Ablehnungsgründe darlegen (OLG Hamm NZV 2007, 252; KG NZV 2007, 253).
Rz. 12
Achtung: Entbindung nur für den konkret anstehenden Termin?
Eine Entbindung gilt nur für den konkret anstehenden Hauptverhandlungstermin, nach h.M. aber einschließlich aller Fortsetzungstermine (KG NZV 2013, 98; DAR 2017, 714).
Ist die Hauptverhandlung allerdings ausgesetzt oder verlegt worden, muss ein neuer Entbindungsantrag gestellt werden (KG DAR 2017, 714; OLG Karlsruhe zfs 2018, 472).