1. Zwingende Verwerfung
Rz. 41
Für den Fall, dass der Betroffene unentschuldigt der Hauptverhandlung fernbleibt, schreibt § 74 Abs. 2 OWiG zwingend die Verwerfung seines Einspruchs vor.
Achtung: Enge Auslegung
Da im Falle einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG die Gefahr besteht, den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör zu verletzen, ist der Begriff des unentschuldigten Fernbleibens sehr eng auszulegen (OLG Bamberg zfs 2012, 230; DAR 2019, 100).
Rz. 42
Ist der Betroffene allerdings unentschuldigt ferngeblieben, kann das Gericht noch nicht einmal dann verhandeln, wenn dieser im Vorfeld beachtliche Einwendungen erhoben hatte; auch dann nicht, wenn ein verhandlungsbereiter Verteidiger anwesend ist (OLG Hamm NZV 2012, 354) und nicht einmal dann, wenn er zugunsten des Betroffenen lediglich von dem verhängten Fahrverbot absehen will (OLG Hamm NZV 2012, 354).
Den Einspruch muss der Richter selbst dann verwerfen, wenn das vorausgegangene Sachurteil nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen worden war und das Ersturteil für den Betroffenen günstiger war, als der Bußgeldbescheid. Das Verbot der reformatio in peius gilt hier nämlich nicht (BGH DAR 2015, 590).
Achtung: Verwerfung europarechtswidrig?
Nach der Entscheidung des EuGH zur Europarechtswidrigkeit des vergleichbaren (und zwischenzeitlich geänderten) § 329 Abs. 2 StPO ist zweifelhaft, ob in solchen Fällen die Verwerfung des Einspruchs noch zulässig ist (siehe oben Rdn 5).
Rz. 43
Der Betroffene fehlt allerdings – gegen KG zfs 2019, 592 – nur dann unentschuldigt, wenn er der Hauptverhandlung insgesamt ferngeblieben war. Das ist dann nicht der Fall, wenn er zu Beginn der Verhandlung erschienen war, sich aber kurz darauf wieder entfernt hat (OLG Brandenburg zfs 2010, 347), und auch dann nicht, wenn er nach Unterbrechung der Hauptverhandlung die vorgesehene Unterbrechungszeit (die dem Verteidiger die schriftliche Formulierung eines Beweisantrags ermöglichen sollte) nur kurz überschritten hat. Die Ausnahmevorschrift des § 231 Abs. 2 StPO ist nämlich auf das OWi-Verfahren auch nicht entsprechend anwendbar (OLG Bamberg DAR 2012, 392); eine Fortsetzung der Verhandlung und damit eine Einspruchsverwerfung ist auch dann nicht zulässig, wenn die Hauptverhandlung unbefristet unterbrochen worden war (KG NZV 2015, 405).
2. Ungenügende Ladung
Rz. 44
Der Einspruch des Betroffenen kann selbstverständlich nur dann verworfen werden, wenn er selbst ordnungsgemäß geladen worden war (OLG Düsseldorf DAR 1999, 564).
Das gilt auch, wenn der erlaubt im Termin abwesend gebliebene Betroffene von einem in seiner Abwesenheit beschlossenen Fortsetzungstermin nicht in Kenntnis gesetzt bzw. nicht ordnungsgemäß geladen wurde, selbst wenn in dem neuen Termin lediglich das Urteil verkündet werden sollte (BayObLG DAR 1999, 175).
Die Einspruchsverwerfung ist aber auch dann ausgeschlossen, wenn der gewählte Verteidiger nicht ordnungsgemäß geladen worden war (BVerfG NZV 2005, 51; OLG Bamberg zfs 2007, 232; OLG Zweibrücken zfs 2011, 92). Dabei genügt, dass das Verteidigungsverhältnis rechtzeitig gegenüber der Verwaltungsbehörde angezeigt war. Darauf, ob auch eine Vollmacht vorgelegt wurde, kommt es nicht an (OLG Bamberg zfs 2007, 232).
Rz. 45
Achtung: Korrespondenzmandat
Das gilt auch dann, wenn keiner von zwei Verteidigern erscheint, aber nur einer geladen war (OLG Karlsruhe DAR 2003, 572), eine Konstellation, die mit den in Verkehrssachen häufigen Korrespondenzmandaten gar nicht so selten vorkommt.
3. Ungenügende Belehrung
Rz. 46
Voraussetzung für die Einspruchsverwerfung ist, dass der Betroffene in der Ladung über die gesetzlichen Folgen eines unentschuldigten Ausbleibens belehrt worden war (OLG Frankfurt zfs 2000, 226). Ist die Verhandlung verlegt oder ausgesetzt worden, genügt der bloße Hinweis auf die Belehrung in einer früheren Ladung nicht (Thüringer OLG zfs 2003, 43). War die Verhandlung allerdings nur ausgesetzt worden, bedarf es keiner erneuten Belehrung (BayObLG NZV 1999, 97).
4. Wartepflicht des Gerichts
Rz. 47
Das Gericht hat grundsätzlich 15 Minuten zuzuwarten, im Falle einer die Verspätung erklärenden Meldung des Betroffenen auch noch länger (Thüringer OLG zfs 2012, 349; KG NZV 2016, 244). U.U. kann das Gericht allerdings zu zusätzlichen Nachforschungen verpflichtet sein (OLG Bamberg DAR 2008, 217). Nach Auffassung des OLG Frankfurt (DAR 2012, 477) soll auch im Falle von Verzögerung die Wartezeit bezogen auf die angesetzte Terminsstunde zu berechnen sein.