I. Fall 1: Firmennachfolge
Rz. 8
Der Erblasser war Alleingesellschafter einer GmbH, die Kosmetikartikel herstellte. Seine einzige Tochter (37 Jahre alt) hatte Betriebswirtschaft und Chemie studiert und war bereits seit Jahren im Labor des väterlichen Betriebes beschäftigt.
Das Testament des Erblassers sah vor, dass seine Tochter zwar Alleinerbin sein sollte, sie aber auf die Dauer von 15 Jahren von der Firmenleitung ausgeschlossen ist und stattdessen nur im Labor arbeiten sollte.
Die Geschäftsführung sollte in dieser Zeit der bisherige Prokurist, ein enger Freund des Verstorbenen, innehaben. Dieser sollte während der Dauer seiner Geschäftsführung auch die Verpflichtung übernehmen, für die finanzielle Versorgung der Ehefrau des Verstorbenen, die auf ihr Erbe verzichtet hatte, zu sorgen.
An der Mediation nahmen die Mutter, ihre Tochter sowie der Prokurist der Firma teil.
Es wurde in zwei eineinhalbstündigen Sitzungen folgende Lösung erarbeitet:
Die Tochter übernahm sofort die Geschäftsführung zusammen mit dem Prokuristen. Die Geschäftsführung des Prokuristen wurde auf fünf Jahre befristet.
Zur finanziellen Versorgung der Mutter wurde ein Firmenfonds gegründet, auf den die Mutter sofort direkten Zugriff hatte.
Diese Lösung entsprach den Interessen und Bedürfnissen aller drei Beteiligten.
Die Tochter verpflichtete sich, für die ersten Jahre die durchaus notwendige Hilfe bei der Firmenleitung durch den Prokuristen in Anspruch zu nehmen, war aber in würdiger und gleichberechtigter Position in der Firma.
Dies entsprach auch dem Wunsch der Mutter, denn deren finanzielle Zukunft hing vom Erfolg der Firma ab. Diesen Erfolg sah sie gesicherter, wenn der erfahrene Freund ihres verstorbenen Mannes seine Erfahrung in die Firmenführung noch fünf Jahre einbringen konnte, wenn dies im Einvernehmen mit ihrer Tochter geschah.
Auch dem Interesse des Prokuristen entsprach diese Lösung, denn er wollte mit der Tochter die nächsten Jahre nicht im Streit in der Firma zusammenarbeiten. Er hatte bei Eröffnung des Testaments sogar daran gedacht, seine Arbeitsstelle zu kündigen. Nur die moralische Verpflichtung den Mitarbeitern und der Ehefrau des Verstorbenen gegenüber hatte ihn gehindert, diesen Schritt übereilt zu gehen.
Was den Erblasser zu dieser so restriktiven Testierung bewogen hatte, war nicht zu ermitteln, war aber auch für keinen der Beteiligten mehr wichtig.
II. Fall 2: "Das ungerechte Testament"
Rz. 9
In die Mediation kamen zwei Geschwister, Frau M., 45 Jahre alt und Herr M., 47 Jahre alt.
Frau M. hatte die gemeinsame Mutter bis zu deren Tod gepflegt, nachdem der Vater bereits Jahre zuvor gestorben war. Sie hatte für die Pflege ihrer Mutter von dieser Geldgeschenke erhalten, von denen sie ihrem Bruder berichtet hatte.
Das Testament der Mutter bestimmte ihre Tochter zur Alleinerbin des Nachlasses. Ihr Sohn sollte nur den ihm zustehenden Pflichtteil erhalten.
Der Nachlass bestand überwiegend aus einem lastenfreien Grundstück mit einem Zweifamilienhaus in bester Lage, in dem die Erblasserin zuletzt mit ihrer Tochter gewohnt hatte.
Frau M. war alleinstehend, Herr M. verheiratet und Vater von fünf heranwachsenden Kindern. Mit seiner Familie lebte Herr M. etwa 400 km weit von dem Elternhaus entfernt.
Herr M. war sehr enttäuscht über die Entscheidung seiner Mutter, ihn am Vermögen, das auch noch vom verstorbenen Vater stammte, nur im Rahmen von Pflichtteilsansprüchen zu bedenken. Er hatte der Mutter zu deren Lebzeiten angeboten, zu ihm und seiner Familie umzusiedeln, auch er hätte sie gerne bei sich gehabt. Die Mutter wäre keine Last gewesen.
Herr M. verstand und akzeptierte dieses Testament nicht. Er signalisierte sehr deutlich, dass er sich nicht mit "Almosen" zufrieden geben würde.
Bei der Wertermittlung des Nachlasses stellte sich heraus, dass der Wert des Grundstücks so hoch war, dass selbst dann, wenn nur der Pflichtteil an Herrn M. gezahlt werden würde, das Haus veräußert werden müsste. Das wollten beide Geschwister aber nicht.
Die Parteien erarbeiteten in der Mediation folgende Lösung:
Frau M. übertrug ihrem Bruder das Alleineigentum am Grundstück. Zu ihren Gunsten wurden erstrangig ein lebenslanges Wohnrecht und der Nießbrauch am Grundstück eingetragen. Sie verpflichtete sich zur Instandhaltung und Renovierung des Hauses. Nur Instandhaltungskosten, die jährlich 40.000 EUR übersteigen würden, sollten geteilt werden.
Alle bisherigen Geldzahlungen, die die Erblasserin in den vergangenen Jahren ihrer Tochter geschenkt hatte (über 100.000 EUR) verblieben bei dieser.
Die im Haus befindliche zweite, etwas kleinere Wohnung wurde für die Familie des Herrn M. eingerichtet. Hier sollte seine Familie Ferienzeiten im Hause verbringen und später einmal eventuell studierende Kinder des Herrn. M wohnen können.
Diese Lösung hatte für beide Geschwister nur Vorteile, denn das Haus konnte erhalten werden. Da die Schwester keine eigenen Nachkommen mehr erwartete, war mit der Alleineigentümerschaft des Bruders auch geregelt, dass dessen Kinder das Haus schlussendlich erben könnten. Durch diese Lösungen konnten die Beziehungen zu d...