Rz. 1
Es dürfte kaum ein weiteres Rechtsgebiet geben, in dem sich die Vertragspraxis (sog. Kautelarjurisprudenz) mit ihren Regelungswerken so weit vom Gesetz entfernt hat wie im Personengesellschaftsrecht. Die Regelungswerke des BGB und HGB zum Gesellschaftsrecht sind auf die rein personalistische Gesellschaft (enges Vertrauensverhältnis unter den Gesellschaftern) zugeschnitten. Im modernen Wirtschaftsleben ist dieser Typus des Gesetzgebers des 19. Jahrhunderts jedoch häufig nicht mehr passend (krasses Beispiel: § 708 BGB – lediglich Sorgfaltsmaßstab bei der Geschäftsführung der Gesellschaft wie in eigenen Angelegenheiten; § 708 BGB wird zumindest bei kapitalistisch strukturierten Vereinigungsformen allgemein für stillschweigend abbedungen gehalten). Darüber hinaus haben sich durch die moderne Rechtsentwicklung das BGB und HGB zum Gesellschaftsrecht als lückenhaft erwiesen. Insbesondere die Regelungen zur inneren Verfassung der Gesellschaft, z.B. über Gesellschafterversammlungen und Gesellschafterbeschlüsse, sind über das Gesetz hinaus ergänzungsbedürftig, und auch die Entwicklung des modernen Steuerrechts erfordert Regelungen, die vom Gesetzgeber nicht vorhersehbar waren, z.B. zu den Konten der Gesellschafter und/oder zur Gewerbesteuerumlage (die Gewerbesteuer wird von der Gesellschaft einheitlich geschuldet auch für Entgelte für Leistungen, die der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft erbringt). Die Handelsrechtsreform (Gesetz vom 21.6.1998) hat hier nur marginale Anpassungen des Gesetzes an die moderne Entwicklung gebracht, etwa die Fortsetzung der Gesellschaft bei Tod oder Insolvenz eines Gesellschafters gemäß § 130 Abs. 3 Nr. 1 HGB (früher Auflösungsgründe gemäß § 131 Nr. 4, 5 HGB aF).
Rz. 2
Es ist deshalb die besondere Kunst des beratenden Juristen, den Beteiligten am Wirtschaftsleben praktikable Regelungswerke an die Hand zu geben, die insbesondere offene Rechtsfragen in Rechtsprechung und Literatur eindeutig in dem einen oder anderen Sinne regeln. Der Jurist muss in jeder Beratungssituation die besonderen Interessenlagen und Konfliktgefahren herausarbeiten und einen auf den Einzelfall maßgeschneiderten Gesellschaftsvertrag "kreieren". Ein unendliches Feld sinnvoller Regelungsmechanismen ist z.B. die Auflösung von Konfliktsituationen in Zwei-Personen-Gesellschaften, bei denen in der Praxis ohne ausreichende Vertragsregelung vielfältige verfahrensmäßige und materiellrechtliche Probleme auftauchen können. Weder im BGB für die GbR noch im HGB für die OHG und KG sind beispielsweise Regelungen über die Gesellschafterversammlung vorgesehen.
Zur eingehenden Behandlung von Spezialfragen bietet dieses Formularbuch nicht ausreichend Platz. Insofern ist die Hinzuziehung anderer Vertragshandbücher, insbesondere im Zusammenhang mit hier nicht abgehandelten Alternativregelungen, empfehlenswert. Dennoch enthalten die nachstehenden Formulare zum Personengesellschaftsrecht in nicht unwesentlichem Umfang auch Anregungen und Gestaltungen, die in herkömmlichen Formularbüchern nicht zu finden sind. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, den Beteiligten (in der Regel Laien) möglichst praktikable und einfache Regelungen an die Hand zu geben, und dies auch in der gebotenen Kürze.
Rz. 3
Trotz aller Kürze sollte im Regelfall nicht auf die Ausformulierung eines ausführlicheren Gesellschaftsvertrages verzichtet werden, auch dann nicht, wenn in der Praxis häufig umfangreichere Vertragswerke bei Personen, die sich kennen, nicht für notwendig erachtet werden. Sicherlich ist derjenige Vertrag, der nach seiner Unterzeichnung in der Schublade verschwindet und niemals mehr hervorgeholt werden muss, dh aus sich heraus wegen interessengerechter, maßgeschneiderter Gestaltung keinen Anlass für Fragestellungen der Beteiligten oder gar Unstimmigkeiten bietet, der beste Vertrag. Dennoch kann auch der beste Vertrag Konfliktsituationen nicht verhindern. Für diesen Fall muss ein guter Vertrag den Beteiligten ein praktizierbares Handlungsprogramm, z.B. zum Ausschluss eines Gesellschafters, an die Hand geben.