a) Zur Wahrheitserforschung nicht erforderlich
Rz. 51
Unabdingbare Voraussetzung für die Ablehnung eines Beweisantrages nach § 77 Abs. 2 OWiG ist, dass überhaupt schon eine Beweisaufnahme stattgefunden hat (BayObLG NZV 2003, 346; OLG Celle NZV 2010, 414).
b) Verlässliches Ergebnis
Rz. 52
Solange die Beweisaufnahme noch nicht zu einem verlässlichen Ergebnis geführt hat, darf ein Beweisantrag nicht abgelehnt werden (OLG Düsseldorf NZV 1989, 163; BayObLG DAR 1997, 318). Die Ablehnung ist frühestens dann zulässig, wenn ein so verlässliches Ergebnis vorliegt, dass auch eine weitere Beweiserhebung den Richter in seiner Überzeugung nicht mehr beeinflussen könnte (OLG Köln VRS 74, 372), also so verlässliche Grundlagen für die gewonnene Überzeugungsbildung des Richters gegeben sind, dass die Möglichkeit, seine Überzeugung noch durch weitere Beweisaufnahme erschüttern zu können, vernünftigerweise ausgeschlossen ist (KG NZV 2002, 416), wobei allerdings die Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit und eine Wahrunterstellung sich gegenseitig ausschließen (BGH NZV 2015, 562).
Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Richters, dem insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht (OLG Hamm zfs 2006, 654).
Dieses Ermessen kann allerdings auf Null reduziert sein, so z.B. wenn der Richter zunächst versucht hat, ein Beweismittel, auf dessen Beschaffung er ursprünglich selbst gedrängt hatte, auszuschöpfen und damit zu erkennen gegeben hat, dass er die Verwertung eben dieses Beweismittels für geboten erachtet. Dann ist, wenn sich das bisherige Beweisergebnis nicht geändert hat, die auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gestützte Ablehnung eines auf Erhebung eben dieses Beweises zielenden Beweisantrags nicht zulässig (KG NZV 2011, 262).
Ebenso wenig darf ein Beweisantrag, mit dem konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung oder die unvollständige Durchführung der in der Bedienungsanleitung vorgeschriebenen Funktionstests behauptet werden, abgelehnt werden (OLG Celle NZV 2010, 414).
Rz. 53
Achtung: Glaubwürdigkeit
Geht es allerdings um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, muss der Richter eingehend darlegen, warum die zu beweisende Tatsache auch im Falle ihres Nachweises ihn nicht beeinflussen könnte (BGH NZV 2007, 318).
c) Gegenzeuge oder Sachverständigengutachten
Rz. 54
Verfolgt die beantragte Beweiserhebung das Ziel, die Aussage eines einzigen Belastungszeugen zu entkräften, kann der Beweisantrag i.d.R. nicht nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt werden (KG NZV 2002, 416; NZV 2007, 584; OLG Düsseldorf zfs 2004, 185; OLG Thüringen zfs 2004, 431).
Soll allerdings durch Sachverständigenbeweis die Fehlerhaftigkeit des von dem Messbeamten als Zeugen bestätigten Messergebnisses bewiesen werden, bedarf es einer auf einen konkreten Messfehler oder eine Missachtung der Bedienungsanleitung zielenden Behauptung (OLG Hamm zfs 2006, 654; OLG Celle NZV 2010, 414).
d) Vernehmung weiterer Polizeibeamter
Rz. 55
Nach h.M. kann die Vernehmung weiterer Polizeibeamter als "Gegenzeugen" nach der Vernehmung ihrer Kollegen abgelehnt werden, wenn die Polizeibeamten den Sachverhalt aus der gleichen Situation heraus wahrgenommen haben (OLG Hamm NStZ 1984, 462; OLG Düsseldorf NZV 1991, 363; NZV 1993, 452).
Rz. 56
Tipp
Sehr viel zurückhaltender mit der Ablehnung eines auf die Vernehmung weiterer Polizeibeamter zielenden Beweisantrages: BayObLG zfs 1994, 348.
e) Beifahrer gegen Polizeibeamte
Rz. 57
Anders ist die Situation, wenn der Betroffene die Aussagen von zwei Polizeibeamten zum Tathergang durch seinen Beifahrer als Zeugen entkräften will. Dann ist die Ablehnung des Antrages auf dessen Vernehmung unzulässig (OLG Köln VRS 74, 372; OLG Köln VRS 81, 201; KG NZV 2007, 584).
f) Identitätsfeststellung
Rz. 58
Die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit dem Fahrer ist bekanntlich allein Sache des Tatrichters. Deshalb soll der von der Identität überzeugte Richter die Benennung eines Zeugen als Fahrer nach h.M. (BayObLG NZV 1999, 264; OLG Düsseldorf zfs 2001, 183; OLG Thüringen VRS 2008, 447; OLG Celle NZV 2010, 634) zurückweisen können, wenn nicht gleichzeitig eine verwechslungsfähige Ähnlichkeit im Aussehen behauptet wird. Ob § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG die Ablehnung eines solchen Gegenbeweisantrages mit dem die richterliche Identitätsfeststellung entkräftet werden soll, tatsächlich trägt, ist nicht unumstritten (siehe z.B. OLG Oldenburg NZV 1995, 84; OLG Braunschweig StraFo 1997, 50 sowie Bode in der Anmerkung zu OLG Düsseldorf zfs 2001, 183).
g) Standardisiertes Messverfahren
Rz. 59
Achtung: Mögliche Fehlerquelle muss genannt werden
Durch den Toleranzabzug werden bei standardisierten Messverfahren alle gerätetypischen Betriebsfehlerquellen ausgeglichen. Es bedarf deshalb, so lange keine konkreten Anhaltspunkte für eine technische Fehlfunktion oder eine Missachtung der Bedienungsanleitung dargetan werden, keines Eingehens auf einen solchen (unzulässigen) Beweisantrag (OLG Stuttgart zfs 2004, 430; OLG Hamm zfs 2007, 111; NZV 2009, 248; OLG Celle NZV 2010, 414).
Ein Beweisantrag, mit dem dagegen substantiierte Einwendungen vorgetragen werden, darf in der Regel nicht abgelehnt werden (OLG Celle NZV 2009, 575; NZV 2010, 414).
h) Augenschein
Rz. 60
Soll durch Augenschein die Unrichtigkeit der Aussage des (einzigen) Belastungszeugen be...