I. In der Ladung nicht angegebene Beweismittel
Rz. 35
Sämtliche Beweismittel – außer Urkunden und Augenscheinsgegenstände, für die § 222 StPO nicht gilt – müssen dem Betroffenen (und seinem Verteidiger) in der Ladung bekanntgegeben werden. Nimmt der Betroffene an der Hauptverhandlung nicht teil und ist er auch nicht anwaltschaftlich vertreten, dürfen die Aussagen von Zeugen, die in der Ladung nicht angekündigt waren, nicht verwertet werden (OLG Stuttgart zfs 2010, 48; OLG Thüringen zfs 2010, 230; OLG Hamm NZV 2012, 198; OLG Bamberg zfs 2014, 229). Dies gilt selbst dann, wenn die Zeugen im Bußgeldbescheid angegeben waren (OLG Bamberg zfs 2010, 648). Für die Verwertung von Urkunden sind diese Regeln entsprechend anzuwenden (OLG Bremen zfs 1998, 355; OLG Saarbrücken VRS 2005, 15).
Rz. 36
Achtung: Rechtsbeschwerde
In der Rechtsbeschwerdebegründung muss der Betroffene dann allerdings im Einzelnen konkret dartun, dass er – hätte er Kenntnis von der Ladung der Zeugen oder der Verwertung der Urkunden gehabt – zur Hauptverhandlung erschienen wäre und die Zeugen befragt bzw. Einwände gegen die Aussagekraft der Urkunde erhoben hätte (OLG Hamm NZV 2007, 632; 2008, 212; OLG Naumburg zfs 2007, 534; OLG Bamberg zfs 2008, 413).
II. Sachverständigengutachten
Rz. 37
War die Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht angekündigt, ist nicht nur die Verwertung seiner Aussage, sondern auch die seines Gutachtens unzulässig (OLG Koblenz zfs 1994, 228).
III. Neue Beweismittel
Rz. 38
Ein Verwertungsverbot gilt für alle dem Betroffenen (und seinem Verteidiger) nicht bekannten Beweismittel, mögen diese auch von einem ordnungsgemäß angekündigten Zeugen vorgelegt worden sein (OLG Hamm NZV 2004, 595; OLG Saarbrücken VRS 109, 15; OLG Düsseldorf zfs 2008, 535; OLG Stuttgart zfs 2010, 48; OLG Zweibrücken zfs 2012, 170; OLG Bamberg zfs 2014, 229). Dies trifft z.B. auf Beweismittel wie das Messprotokoll oder die Eichurkunde zu, sofern sie erst im Hauptverhandlungstermin vorgelegt werden.
Rz. 39
Achtung: Gleichzeitige Abwesenheit des Verteidigers
Unabhängig davon, ob auch der Verteidiger des von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen der Hauptverhandlung fernbleibt, ist diese durchzuführen (OLG Hamm zfs 2004, 90). Dabei ist zu beachten, dass im OWi-Verfahren abweichend von § 250 StPO die Verlesung von der Verteidigung bekannten Urkunden, wie z.B. des Messprotokolls anstelle der zeugenschaftlichen Vernehmung des Polizeibeamten, der die Messung durchgeführt hat, gem. § 77a Abs. 4 S. 1 OWiG grundsätzlich zulässig ist.
Das Gesetz macht diese Art der Beweisaufnahme nur dann von der Zustimmung anderer Verfahrensbeteiligten abhängig, wenn diese in der Hauptverhandlung anwesend sind (OLG Koblenz zfs 2014, 530; OLG Hamm zfs 2014, 651). Voraussetzung ist jedoch ein entsprechender und ins Protokoll aufzunehmender Beschluss (BayObLG bei Bär, DAR 1988, 367; OLG Hamm VRS 85, 375; OLG Köln StV 2001, 342).
IV. Registerauszüge
Rz. 40
Auszüge aus Registern dürfen dagegen ohne Vorankündigung verlesen werden (BayObLG NJW 1995, 2800).
V. Im Vorfeld gestellter Beweisantrag
Rz. 41
Ein im Vorfeld gestellter Beweisantrag muss in der Hauptverhandlung wiederholt werden. Das gilt auch im Abwesenheitsverfahren, wenn ein Verteidiger an der Hauptverhandlung teilnimmt (OLG Bamberg DAR 2012, 154). Anderenfalls braucht das Gericht nicht förmlich über den Beweisantrag zu entscheiden, sondern muss lediglich in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbaren Weise begründen, weshalb es von der Beweiserhebung abgesehen hat (BayObLG zfs 1996, 116; BayObLG zfs 2000, 271).
VI. Offenkundige oder gerichtskundige Tatsachen
Rz. 42
Im Abwesenheitsverfahren dürfen solche Tatsachen grundsätzlich nur dann verwertet werden, wenn sie dem Betroffenen bereits vor der Hauptverhandlung mitgeteilt worden sind und er ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass das Gericht deren Verwertung beabsichtigt (OLG Stuttgart zfs 1999, 81).
VII. Schriftliche Erklärungen
Rz. 43
Im Falle erlaubter Abwesenheit müssen nicht nur die schriftlichen Erklärungen des Betroffenen selbst durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden, sondern auch die seines Verteidigers, falls dieser ebenfalls abwesend ist. Andernfalls ist das rechtliche Gehör verletzt (OLG Frankfurt zfs 2000, 272).
VIII. Angaben zu beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
Rz. 44
Angaben zu den beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen sind nur dann verwertbar, wenn sie prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, was gerade im Falle des Abwesenheitsverfahrens häufig nicht der Fall ist. Verwertbar sind solche Angaben nämlich nur, wenn sich ihre ordnungsgemäße Feststellung aus dem Protokoll ergibt (OLG Hamm zfs 2012, 171).