Rz. 70

Ein verständiger Grund kann allenfalls dann vorliegen, wenn dem Betroffenen ein früheres Vorbringen möglich und vor allem auch zumutbar war. Es versteht sich somit von selbst, dass ein Beweisantrag nicht als verspätet zurückgewiesen werden darf, wenn sich erst in der Hauptverhandlung (z.B. durch die Aussage eines Zeugen) Hinweise auf das Beweismittel ergeben haben.

 

Rz. 71

Dies gilt ebenso, wenn in der Beweisaufnahme neue Umstände bekannt werden oder sich die Beweissituation im Vergleich zur Aktenlage ändert, etwa weil ein Zeuge von seiner schriftlichen Aussage in einem erheblichen Punkt abweicht. Auf solche Veränderungen braucht sich der Betroffene nicht etwa durch vorsorglich gestellte Beweisanträge einzustellen (OLG Thüringen zfs 2004, 431).

 

Rz. 72

Zumutbar kann ein früheres Vorbringen schließlich nur sein, wenn dadurch die Verteidigung nicht beeinträchtigt würde oder für den Betroffenen bzw. einen Angehörigen nicht mit der Gefahr sonstiger Nachteile verbunden wäre. Deshalb gibt es oft gute Gründe, ein Beweismittel erst später einzusetzen. Dies zu entscheiden ist vorrangig Sache des Verteidigers; das Gericht kann ihm nicht den Verteidigerplan vorschreiben.

 

Rz. 73

So ist es z.B. durchaus verständlich, wenn der Verteidiger im Falle einer Halteranzeige zunächst einmal abwartet, ob der Mandant als Verantwortlicher identifiziert wird, um danach erst einen Zeugen, von dem er zum Teil auch belastende Aussagen erwartet, zu benennen.

Ebenso nachvollziehbar ist, dass ein verheirateter Betroffener erst nach seiner Identifizierung seine Freundin als Entlastungszeugin benennt.

 

Rz. 74

 

Tipp: Bis zur Hauptverhandlung unbekannte Zeugenanschrift

Das BVerfG (zfs 1992, 285) hatte bereits zur früheren Rechtslage, also selbst wenn es nur um ein geringfügiges Bußgeld ging, entschieden, dass die Ablehnung wegen Verspätung eines mit der Behauptung des Betroffenen verbundenen Beweisantrages, er habe die Anschrift des Entlastungszeugen gerade erst erfahren, als jetzt verspätet das rechtliche Gehör verletzt.

 

Rz. 75

Das muss umso eher gelten, wo der Verspätungseinwand nicht mehr nur bei geringfügigen Bußgeldern möglich ist.

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