Rz. 26

Die Verteidigung wird oft dadurch überrascht, dass sich das Gericht in der Urteilsbegründung auf angeblich offenkundige oder ihm aus anderen Verfahren bekannte Tatsachen beruft, ohne dass diese Tatsachen in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommen wären.

 

Rz. 27

Dies ist nicht zulässig, denn dem Urteil dürfen auch offenkundige Tatsachen nur zugrunde gelegt werden, wenn sie in der Hauptverhandlung ausdrücklich angesprochen worden sind (BVerfGE 48, 206; BGH NStZ 1995, 246; OLG Stuttgart zfs 2004, 430).

 

Rz. 28

Dies gilt auch für gerichtskundige Tatsachen, wobei sie im Abwesenheitsverfahren dem Betroffenen unter Hinweis auf die Absicht, sie als gerichtskundig einführen zu wollen, schon vor der Hauptverhandlung mitgeteilt werden müssen (OLG Stuttgart zfs 1999, 81; OLG Bamberg zfs 2014, 229). Gerichtskundig ist eine Tatsache ohnehin nur, wenn der Richter sie im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit zuverlässig in Erfahrung gebracht hat.[3] Fehlerhaft ist es deshalb, wenn – wie häufig – Richter ihr privates Wissen als gerichtskundige Tatsache behandeln wollen, im Verkehrsrecht z.B. das Beschleunigungs- oder das Bremsvermögen eines Fahrzeuges.

Will der Richter das ihm durch Dritte bekannt gewordene Wissen verwerten, genügt dessen bloße Bekanntgabe nicht, sondern die Auskunftsperson selbst muss als Zeuge vernommen werden (OLG Naumburg zfs 2016, 471).

 

Achtung: Rügevorbringen

Zu beachten ist, dass nach h.M. die in der Hauptverhandlung erfolgte Einführung und Erörterung gerichtsbekannter Tatsachen nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten i.S.d. § 273 StPO gehört (BGHSt 36, 354), weshalb insoweit die negative Beweiskraft des Protokolls nicht hilft. Zur ordnungsgemäßen Rüge ist deshalb Vortrag erforderlich, wonach die entsprechenden Tatsachen in der Hauptverhandlung weder erörtert noch ansonsten thematisiert worden sind (OLG Köln zfs 2016, 351).

[3] Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 244 Rn 52.

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