I. Vorrang staatsvertraglicher Regelungen
Rz. 3
Welches Erbrecht zur Anwendung gelangt, bestimmt sich anhand der Kollisionsnormen. Diese sind für Deutschland nunmehr in der EuErbVO geregelt, soweit der Erbfall nach dem 17.8.2015 lag. Für alle Erbfälle vor dem 17.8.2015 finden die Regelungen des EGBGB, insbesondere in den Art. 3, 3a, 25 a.F. und 26 a.F. EGBGB Anwendung. Unabhängig von diesen Regelungen des internationalen Privatrechts existieren zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einigen Staaten Konsularverträge oder Niederlassungsabkommen. Diese bilateralen Übereinkommen genießen gemäß Art. 75 Abs. 1 EuErbVO zunächst einmal Vorrang vor den nationalen Rechtsvorschriften. Voraussetzung für den Vorrang ist jedoch, dass das bilaterale Abkommen völkerrechtlich in Kraft getreten ist und in innerstaatliches Recht transformiert wurde. Weiterhin werden die Vorschriften des EGBGB a.F. sowie des Art. 75 Abs. 1 EuErbVO nur insoweit verdrängt, als der räumliche, sachliche und zeitliche Anwendungsbereich des bilateralen Abkommens eröffnet ist.
II. Bestimmung erbrechtlicher Begrifflichkeiten
Rz. 4
Im Nachfolgenden werden drei Grundbegriffe des internationalen Erbrechts gebraucht, welche es wie folgt zu unterscheiden gilt:
Vom Erbstatut ist die Rede, soweit es um die erbrechtliche Nachfolge geht, welche sich gemäß Art. 25 EGBGB a.F. oder Art. 21 Abs. 1 EuErbVO bestimmt und sodann grundsätzlich die erbrechtlichen Regelungen vorgibt. Deutschland folgte und folgt auch weiterhin dabei dem Prinzip (Grundsatz) der Nachlasseinheit.
Das Formstatut bestimmt die Form erbrechtlichen Handelns und den Anwendungsbereich.
Die letzte Begrifflichkeit ist das Errichtungsstatut. Darunter versteht man das so genannte hypothetische Erbstatut im Zeitpunkt der Errichtung eines erbrechtlichen Geschäfts (Testament, Erbvertrag, Erbverzichtsvertrag). Relevant wird es, wenn nach der Vornahme des erbrechtlichen Geschäfts eine Änderung des Statuts (Wechsel der Staatsangehörigkeit) stattfindet.
III. Vorrangige das Erbstatut betreffende Staatsverträge
Rz. 5
Vorrangig vor der EuErbVO oder dem EGBGB a.F. finden, wie bereits erwähnt, etwaige zwischen den einzelnen Staaten geschlossenen bilaterale Konsular- oder Staatsverträge Anwendung. Die Bundesrepublik Deutschland bzw. deren Vorgängerstaaten haben mit einzelnen Ländern kollisionsrechtliche Regelungen getroffen, welche bis heute wirken. Im Einzelnen bestehen die nachfolgenden Verträge:
1. Deutsch-türkischer Konsularvertrag vom 28.5.1929
Rz. 6
Dieser Konsularvertrag wurde zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reich geschlossen. Nach dem Eintritt der Türkei in den Krieg wurde er aufgehoben, ist jedoch seit dem 26.2.1952 wieder in Kraft. Die relevanten erbrechtlichen Regelungen des Konsularvertrags finden sich in den §§ 12 ff. des Anhangs zu Art. 20. In § 14 des Konsularvertrags wird das auf die Erbfolge anzuwendende Recht bestimmt. Die Anwendung des Konsularvertrags führt zu einer Nachlassspaltung. Nach § 14 Abs. 1 des Konsularvertrags wird bewegliches Vermögen stets nach dem Heimatrecht des Erblassers vererbt, wohingegen gemäß § 14 Abs. 2 des Konsularvertrags unbewegliches Vermögen stets nach den Regeln des Belegenheitsort der Sache vererbt wird, "und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser, zum Zeitpunkt seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre".
2. Deutsch-sowjetischer Konsularvertrag vom 25.4.1958
Rz. 7
Nach der Auflösung der UDSSR gilt der Konsularvertrag mit den meisten Nachfolgestaaten der UDSSR fort. Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrags enthält eine Kollisionsnorm, welche zu einer Nachlassspaltung führt. Danach findet hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens das Recht des Landes Anwendung, in dem es belegen ist (Grundsatz: lex rei sitae). Durch die Berücksichtigung der lex rei sitae kann es in der Praxis also zu einer Nachlassspaltung zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen kommen. Keine Anwendung findet der deutsch-sowjetische Konsularvertrag bei den drei baltischen Staaten (Litauen, Lettland und Estland). Da diese sich nicht als Nachfolgestaaten der Sowjetunion sehen, haben sie keine Weiteranwendung des Vertrages mit Deutschland vereinbart. Die baltischen Staaten sind jedoch Vertragsstaaten der EuErbVO, sodass ohnehin die EuErbVO vorrangig zur Anwendung gelangt, da diese gemäß Art. 75 Abs. 2 EuErbVO, bei bestehenden bilateralen Staatsverträgen, von Vertragsstaaten der EuErbVO Vorrang genießt. De facto wird so verhindert, dass durch Staatsverträge die Anwendung der EuErbVO umgangen werden kann.
3. Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2.1929
Rz. 8
Anders als das deutsch-türkische Konsularabkommen war das deutsch-persische Abkommen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges lediglich suspendiert worden. Seine Weitergeltung wurde durch Prot...