Rz. 3
Eine gesetzliche Regelung mit der Verpflichtung für Arbeitnehmer, auch nach dem rechtlichen Ende des Anstellungsverhältnisses die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Arbeitgebers zu wahren, ist trotz verschiedener Ansätze des Gesetzgebers bisher nicht umgesetzt (s. oben § 21 Rdn 1803 ff.). Auch die EU-Richtlinie v. 8.6.2016 zum "Schutz von Know-How und Geschäftsgeheimnissen" enthält keine diesbezügliche Regelung oder Vorgabe an den innerstaatlichen Gesetzgeber zur Umsetzung einer nachvertraglichen Verschwiegenheitspflicht (vgl. zum Begriff "Know-How": Köhler/Bornkamm/Fedddersen/Alexander, § 2 Rn 87/88). Die Umsetzung der EU-Richtlinie in das GeschGehG, gültig ab 26.4.2019, hat erwartungsgemäß daher ebenfalls keine Regelung gebracht.
Rz. 4
Mangels einer klaren gesetzlichen Gebotsnorm besteht daher – soweit die Vertragsparteien nicht vertraglich eine nachvertragliche Verschwiegenheitsverpflichtung vereinbart haben – beim Stand der derzeitigen Gesetzeslage nach zutreffender Ansicht grds. keine Pflicht, nach dem Ende des Anstellungsverhältnisses über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Stillschweigen bewahren zu müssen (vgl. BGH v. 27.4.2006 – I ZR 126/03, DB 2006, 2459 Kundendaten; BGH v. 3.5.2001 – I ZR 153/99, GRUR 2002, 91 Spritzgießwerkzeuge; BGH v. 16.11.1954, NJW 1955, 463 = BB 1955, 164; BAG [10. Senat] v. 22.3.2017 – 10 AZR 448/15, juris; ErfK/Müller-Glöge, § 345 BGB Rn 21; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 53 Rn 47; Rasche, in: Tschöpe, Arbeitsrecht, Teil 2 A Rn 261; MünchArbR/Reichold, § 54 Rn 44; MüKo-BGB/Spinner, Bd. 4, § 611a Rn 1013; Hauck, GRUR 2022, 530, 536; Taeger, AuA 1992, 201; Kunz, DB 1993, 2482, 2483; a.A.: BAG [3. Senat] v. 15.12.1987 – 3 AZR 474/86 [Ls. 1], NJW 1988, 1686 [Ls. 1] = NZA 1988, 502 Kundenlisten; OLG Stuttgart v. 19.11.2020 – 2 U 575/19, juris Rezepturen und Adresslisten; zurückhaltender jedoch BAG [9. Senat] v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1999, 200 = DB 1999; 289 Kantenbänder; Bestätigung von BAG [9. Senat] v. 15.6.1993 – 9 AZR 558/91, DB 1994, 887 = NZA 1994, 502 Titandioxid, wonach eine Nachwirkung vertraglicher Pflichten nur in einem eng begrenzten Umfang angenommen werden kann, zustimmend Thüsing, in Henssler/Willemsen/Kalb, § 611a Rn 504; vgl. ferner Molkenbur, BB 1990, 1196, 1198; Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 810: Nachvertragliche Verschwiegenheit darf den Arbeitnehmer nicht unzumutbar in seinem Grundrecht aus Art 12 GG einschränken).
Rz. 5
Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BAG begründen eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht sowie eine allgemeine nachvertragliche Treuepflicht für den vormaligen Arbeitgeber allerdings regelmäßig keinen Anspruch auf Unterlassung von Wettbewerb gegen den ehemaligen Arbeitnehmer. Fehlt es an einer wirksamen Wettbewerbsabrede, kann der Arbeitnehmer sein im Arbeitsverhältnis erworbenes Erfahrungswissen einschließlich der Kenntnis von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen einsetzen und in den Kundenkreis des Arbeitgebers eindringen (vgl. BAG [9. Senat] v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1999, 200 = DB 1999 Kantenbänder; BAG v. 15.6.1993 – 9 AZR 558/91, DB 1994, 887 = NZA 1994, 887 Titandioxid, vgl. ausführlich zur Abgrenzung: Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn 121 ff.). Der 10. Senat des BAG hat diese Rechtsprechung bekräftigt. Danach ist nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer grundsätzlich frei, mit seinem ehemaligen Arbeitgeber in Wettbewerb zu treten oder für ein Konkurrenzunternehmen tätig zu werden. Dieses durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Arbeitnehmers, über sein berufliches Fortkommen selbst zu bestimmen, sieht das Gesetz dem wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers, sich vor Nachteilen einer Konkurrenztätigkeit zu schützen, als übergeordnet an (vgl. BAG [10. Senat] v. 22.3.2017 – 10 AZR 448/15, juris).
Rz. 6
Die Rspr. des BGH und BAG ist damit nicht deckungsgleich. In der Spritzgießwerkzeuge-Entscheidung stellte der BGH ausdrücklich fest: An der Rspr., wonach der aus einem Beschäftigungsverhältnis ausgeschiedene Arbeitnehmer durch die Weitergabe und Verwertung der dort redlich erlangten Betriebsgeheimnisse nur unter besonderen Umständen gegen § 1 UWG verstößt, wird für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ungeachtet der Rspr. des BAG festgehalten, wonach der ausgeschiedene Arbeitnehmer auch ohne besondere Vereinbarung arbeitsrechtlich zur Verschwiegenheit über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verpflichtet und ihm lediglich die Verwertung des erworbenen beruflichen Erfahrungswissens gestattet sein soll (vgl. BGH v. 3.5.2001 – I ZR 153/99 Spritzgießwerkzeuge [Ls. 1], GRUR 2002, 91; vgl. ferner Salger/Breitfeld, BB 2005, 154; sowie ausführlich Reufels zu den Unterschieden in der Rspr. des BGH und BAG, in: Hümmerich/Reufels, Teil 1 Rn 4101 ff.).
Rz. 7
Nach zutreffender h.M. dürfen sämtliche während des Arbeitsverhältnisses redlich erlangten Kenntnisse und Fähigkeiten im Anschluss an das Vertragsverhältnis grds. selbst dann verwertet werden, wenn sie Geschäfts- und Betriebsgehe...