Rz. 12
Soweit die Parteien zweckmäßigerweise zur Vermeidung jedweder Rechtsunsicherheit bereits im Anstellungsvertrag eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht vereinbart haben, muss der Mitarbeiter diese beachten (zur AGB-Kontrolle s. oben § 17 Rdn 989, 990). In der kautelarjuristischen Praxis werden Vertragsklauseln mit einer nachvertraglichen Verschwiegenheitspflicht vielfach verwandt und sollten in keinem Vertrag fehlen (s. die Musterformulierungen in § 17 Rdn 689; vgl. ebenso Reufels, in: GmbH-Handbuch, Teil IV Rn 175; Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 611a, Rn 504; Hauck, GRUR 2022, 530, 531); vgl. ferner Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn 115 ff.). Nach allgemeiner Auffassung sind solche Geheimhaltungsvereinbarungen (auch nachvertraglicher Geheimhaltungsvertrag genannt) in den Grenzen des Art. 12 GG zulässig (vgl. BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, juris Kantenbänder; BAG v. 16.3.1982 – 3 AZR 83/79, DB 1982, 224 = NJW 1983, 134 Trombosol-Reagenz; Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 611a BGB Rn 504; Küttner/Kreitner, Personalbuch 2023, Verschwiegenheitspflicht, Rn 7).
Rz. 13
Nachvertragliche (und vertragliche) Verschwiegenheitsvereinbarungen unterliegen auch bei vielfacher einheitlicher Verwendung durch den Arbeitgeber nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn die Schweigepflicht das sog. Arbeitsverhalten betrifft oder gesetzlich geregelt ist. Dies hat das BAG in einem Fall entschieden, in dem der Arbeitgeber in rd. 600 Arbeitsverträge formularmäßig standardisiert die Abrede aufgenommen hatte, dass der Arbeitnehmer sich verpflichtet, während und auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Stillschweigen über alle Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, insb. Vertriebswege, Kunden- und Lieferantendaten einschließlich der Konditionen und dergleichen, die ihm während seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber in irgendeiner Weise bekannt geworden sind, zu bewahren und diese weder zu verwerten oder an Dritte weiterzugeben (vgl. BAG v. 10.3.2009 – 1 ABR 87/07, NZA 2010, 180 = DB 2009, 2275).
Rz. 14
Ist die Verschwiegenheitspflicht weiter gefasst, als die Geheimhaltung durch berechtigte betriebliche Interessen gerechtfertigt ist, so ist sie nur bis zur Grenze des betrieblichen Interesses wirksam (vgl. LAG Hamm v. 5.10.1988 – 15 Sa 1403/88, DB 1989, 783). Soweit die nachvertragliche Geheimhaltungsverpflichtung inhaltlich das berufliche Fortkommen des Mitarbeiters so erschwert, dass es bei genauer Betrachtung wie ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot wirkt, ist die Vereinbarung nur wirksam, wenn sie den Anforderungen an ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot genügt (vgl. Kunz, DB 1993, 2482, 2486; Moll, BRAK-Mitteilungen 1994, 228; Molkenbur, BB 1990, 1196, 1197; LAG Hamm v. 16.4.1986, DB 1986, 2087 = LAGE § 74 HGB Nr. 2). So ist z.B. ein Mitarbeiter, der sich einer entschädigungslosen nachvertraglichen Verschwiegenheitsverpflichtung unterworfen hat, nicht daran gehindert, nach seinem Ausscheiden Kunden seines ehemaligen Arbeitgebers zu umwerben. Dies wäre nur durch die Vereinbarung eines entschädigungspflichtigen nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes möglich (vgl. BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97 Kantenbänder, DB 1999, 289 = NZA 1999, 200; BAG v. 15.12.1987, DB 1988, 1020 = NZA 1988, 502). Insofern ist mit der Vereinbarung einer entschädigungslosen nachvertraglichen Verschwiegenheitspflicht über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht die Wirkung eines entschädigungspflichtigen nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes erzielbar (vgl. BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97 Kantenbänder, DB 1999, 289; BAG v. 15.12.1987, DB 1988, 1020 = NZA 1988, 502; ebenso Reufels, in: GmbH-Handbuch, Teil IV Rn 175.1; Moll, BRAK-Mitteilungen 1994, 228; Küttner/Kania, Personalbuch 2023, Verschwiegenheitspflicht, Rn 11). Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer grundsätzlich frei, mit seinem ehemaligen Arbeitgeber in Wettbewerb zu treten oder für ein Konkurrenzunternehmen tätig zu werden (vgl. BAG v. 22.3.2017 – 10 AZR 448/15, juris).
Rz. 15
Sog. "All-Klauseln", worin der Arbeitnehmer verpflichtet ist, alle ihm während seiner Tätigkeit bekannt gewordenen Geschäftsvorgänge (ggf. ohne zeitliche Begrenzung) geheim zu halten, werden regelmäßig eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers i.S.v. §§ 307, 310 BGB darstellen (vgl. ausführlich zur Unwirksamkeit mit verschiedenen Ansätzen Hauck, GRUR 2022, 530, 535; Baade/Reiserer, DStR 2022, 890, 893; ArbG Aachen v. 13.1.2022 – 8 Ca 1229/20, juris Ls. 3 und Rn 90; LAG Köln v. 2.12.2019 – 2 SaGa 20/19, juris Rn 18; LAG Rheinland-Pfalz v. 21.2.2013 – 2 Sa 386/12 m.w.N.). Catch-All-Klauseln sind daher regelmäßig zutreffend gem. § 138 BGB bzw. §§ 310 und 307 BGB unwirksam (vgl. die Übersicht bei Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 812).
Rz. 16
Vielfach ist in den Verträgen keine zeitliche Grenze enthalten. Das führt auf den ersten Blick dazu, dass die Verpflichtung "lebenslänglich" eingehalten werden muss. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Bindung ohne jede zei...