Rz. 45
Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen, oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen gem. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL. Mit Blick auf die Erhaltungsziele des FFH-Gebiets stellt allein der günstige Erhaltungszustand der geschützten Lebensräume und Arten ein geeignetes Bewertungskriterium dar, wenn die vorrangig naturschutzfachliche Fragestellung zu beantworten ist, ob ein Straßenbauvorhaben das Gebiet erheblich beeinträchtigt. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan oder Projekt nur zu, wenn sie Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich das Vorhaben nicht nachteilig auf dieses Gebiet als solches auswirkt (Art. 6 Abs. 3 FFH-RL). Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt.
Jüngst hat der EuGH entschieden, dass die Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung auch dann (nachträglich) besteht, wenn ein bereits (teilweise) ausgeführtes Vorhaben vor seiner Genehmigung einer Vorprüfung bzw. einer Gefährdungspotentialabschätzung unterzogen wurde und erst danach in die Liste der gemeinschaftlich bedeutenden Gebiete aufgenommen wurde, soweit dies die einzige Möglichkeit darstellt, um sicherzustellen, dass die Ausführung dieses Plans oder Projekts nicht zu einer Verschlechterung oder Störung führt, die sich im Hinblick auf die Richtlinie erheblich auswirken könnte. Ob dies so ist, sei jeweils von den Gerichten der Mitgliedstaaten zu prüfen.
In Ansehung des Vorsorgegrundsatzes ist die objektive Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen im Grundsatz nicht anders einzustufen, als die Gewissheit eines Schadens. Wenn bei einem Vorhaben aufgrund der Vorprüfung ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen entstanden ist, kann dieser Verdacht nur durch eine schlüssige naturschutzfachliche Argumentation ausgeräumt werden, mit der ein Gegenbeweis geführt wird. Ein Gegenbeweis im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung setzt die Berücksichtigung der bestehenden einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse voraus und macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen erforderlich. Dies bedeutet nicht, dass Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Derzeit nicht ausräumbare wissenschaftliche Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge sind dann kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn das Schutzkonzept ein wirksames Risikomanagement entwickelt hat. Außerdem ist es zulässig mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten.
Die im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zur Anwendung kommende Methode der Bestandserfassung und -bewertung geschützter Lebensraumtypen oder Arten ist nicht normativ festgelegt. Die Methodenauswahl muss aber dem für die Verträglichkeitsprüfung allgemein maßgeblichen Standard der "besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse" entsprechen. Vorhabenbedingte Verluste von Flächen eines Lebensraumtyps des Anhang I der FFH-RL stellen dann keine erheblichen Beeinträchtigungen i.S.d. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL dar, wenn sie lediglich Bagatellcharakter haben. Als Orientierungshilfe für die Beurteilung, ob ein Flächenverlust die Bagatellgrenze überschreitet, können die im einschlägigen Konventionsvorschlag des Bundesamtes für Naturschutz erarbeiteten Kriterien herangezogen werden. Eine Verträglichkeitsprüfung, mit der zugleich auch die Verträglichkeit aller Folgeabschnitte geprüft wird, ist nach Auffassung des BVerwG nicht erforderlich. Sie kann sich vielmehr auf den jeweils planfestgestellten Abschnitt beschränken. Derzeit noch ungeklärte Fragen des Habitatschutzes zwingen daher nicht dazu, dass bei einer Planung eines Verkehrsweges auf das Instrument der Abschnittsbildung verzichtet wird.