I. Begründung
Rz. 55
Die Sachrüge braucht nicht begründet zu werden. Sie muss allerdings ausdrücklich erhoben worden sein, andernfalls kann das Rechtsbeschwerdegericht nicht eingreifen (OLG Düsseldorf DAR 1999, 275; OLG Hamm DAR 2000, 82; BayObLG VRS 87, 42; OLG Bamberg zfs 2014, 55). Die Rechtsbeschwerde muss darüber hinaus zweifelsfrei erkennen lassen, dass sie auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützt werden soll. Hierzu genügt es z.B. nicht, die Beweiswürdigung oder die Urteilsfeststellungen anzugreifen (OLG Hamm DAR 1999, 276; 2001, 40).
Rz. 56
Eine Rechtsbeschwerde, die – ohne das Urteil in irgendeinem Grund als fehlerhaft anzugreifen – nur auf eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG zielt, ist ebenso unzulässig (KG NZV 1996, 124) wie eine Rüge, die nicht (wenigstens auch) erkennen lässt, dass die Anwendung des sachlichen Rechts durch den Tatrichter beanstandet wird, z.B. der Betroffene in der Beschwerdebegründung mitteilt, er wolle es nun doch bei dem ursprünglich im Bußgeldbescheid ausgeworfenen Fahrverbot und der dortigen Geldbuße belassen (OLG Bamberg zfs 2014, 55).
Rz. 57
Tipp
Eine Formulierung wie z.B. "Gerügt wird die Verletzung sachlichen Rechts" reicht bereits aus. Sie sollte i.d.R. in keiner Rechtsbeschwerde fehlen, da dann das Rechtsbeschwerdegericht auch ohne weitere Begründung durch den Beschwerdeführer eine umfassende Überprüfung des Urteils auf evtl. materiell-rechtliche Fehler vornehmen muss. Die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts ist z.B. bereits dann begründet, wenn die Urteilsgründe das Rechtsbeschwerdegericht nicht in die Lage versetzt, zu prüfen, ob das Recht richtig angewandt wurde (KG NZV 2008, 51).
Rz. 58
Legt der Beschwerdeführer auf die Überprüfung bestimmter Fragen besonderen Wert, empfiehlt sich eine nähere Begründung der Rechtsbeschwerde. Der Verteidiger sollte sich aber davor hüten, mit bloßen Angriffen gegen die Tatsachenfeststellungen oder die Beweiswürdigung die Rüge unzulässig zu machen (KG NZV 1990, 43).
II. Prüfungsumfang
Rz. 59
Die Sachrüge geht sehr weit. Sie zwingt das Rechtsbeschwerdegericht zur Nachprüfung, ob Denk- oder Erfahrungssätze verletzt sind (BGHSt 31, 86), ob die Verfahrensvoraussetzungen gegeben waren (OLG Düsseldorf NStZ 1992, 39), ob ein wirksamer Bußgeldbescheid vorlag oder – außer bei einer Zulassungsbeschwerde – ob sonstige Verfahrenshindernisse bestanden haben (OLG Düsseldorf VRS 74, 45).
III. Unzureichende Urteilsgründe
Rz. 60
Das Rechtsbeschwerdegericht muss durch das Urteil in die Lage versetzt werden, nicht nur zu überprüfen, ob das Recht richtig angewandt worden ist, sondern auch, ob die Urteilsfeststellungen überhaupt eine tragfähige Grundlage für diese Prüfung leisten.
Ein Urteil, das diese Anforderung nicht erfüllt, z.B. nicht erkennen lässt, ob und ggf. wie sich der Betroffene eingelassen hat (OLG Köln DAR 2013, 393) – auch wenn der Betroffene von einem erklärungsberechtigten Verteidiger vertreten wurde (OLG Hamm zfs 2008, 348) – oder im Falle einer Geschwindigkeitsmessung nicht zumindest das angewandte Messverfahren, die gemessene Geschwindigkeit und den angenommenen Toleranzwert angibt (OLG Koblenz DAR 2013, 217; OLG Celle SVR 2014, 32) oder nicht feststellt, dass das Messgerät ordnungsgemäß geeicht war (OLG Frankfurt zfs 2001, 233) und die nach der Bedienungsanleitung des Herstellers vorgeschriebenen Funktionstests durchgeführt wurden (OLG Celle NZV 2010, 414) ist bereits auf die Sachrüge hin aufzuheben (OLG Frankfurt NZV 2014, 426).
Dies ist auch dann der Fall, wenn der Richter im Urteil auf ein Sachverständigengutachten Bezug nimmt, die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen und die daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil aber nicht mitteilt (OLG Hamburg zfs 1995, 276; OLG Saarbrücken zfs 1995, 473; BayObLG zfs 2003, 41).
IV. Keine oder verspätete Urteilsgründe
Rz. 61
Fehlerhaft ist das Urteil erst recht, wenn es keine Gründe enthält (OLG Köln VRS 86, 302). Bereits das zugestellte Urteil – wobei schon ein abgekürztes Urteil in der Fassung des Protokolls genügt (OLG Celle VRS 75, 461; OLG Bamberg zfs 2009, 175) – muss begründet sein.
Achtung: Keine nachträgliche Begründung mehr möglich
Nach Verlassen des inneren Dienstbereichs kann die Begründung nicht mehr nachgeholt oder das Urteil abgeändert werden (OLG Celle zfs 2011, 647; OLG Oldenburg DAR 2012, 345; OLG Dresden NZV 2012, 557).
Das gilt auch, wenn der Richter irrtümlich die Rechtskraft des Urteils unterstellt und deshalb von einer schriftlichen Urteilsbegründung abgesehen hat (KG DAR 2001, 228; OLG Bamberg zfs 2009, 175) bzw. der Meinung war, auch bei Abwesenheitsurteilen könne die Urteilsbegründung gem. § 77b OWiG nachgeholt werden (OLG Bamberg zfs 2009, 648; OLG Oldenburg DAR 2012, 345; OLG Dresden NZV 2012, 557; OLG Schleswig zfs 2015, 172), wobei allerdings dieser Fehler für sich alleine so lange nicht zur Zulassung zwingen soll, wie nicht noch sonstige Zulassungsgründe geltend gemacht werden (OLG Celle zfs 2018, 234).
Eindeutig ist die Situation indessen, wenn der Richter den Antrag der (abwesenden) Staatsanwaltschaft auf schriftliche Urteilsbegründung üb...