Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 163
Eine zulässige Möglichkeit der Abfindung ist die Abfindung sog. Bagatellanwartschaften und -leistungen. Eine abfindbare Bagatellanwartschaft liegt insoweit nur dann vor, wenn die beim Erreichen der vereinbarten Altersgrenze zu zahlende monatliche Altersrente 1 % bzw. bei Kapitalleistungen 120 % der monatlichen Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV nicht überschreitet. Ausgehend von der 2021 geltenden Bezugsgröße sind damit nur Rentenanwartschaften bis max. monatlich 32,90 EUR (31,15 EUR in den neuen Bundesländern) bzw. Kapitalleistungen bis max. 3.948 EUR (3.738 EUR in den neuen Bundesländern) abfindbar.
Rz. 164
Liegt die Anwartschaft unterhalb der vorgenannten Bagatellgrenze, kann der Arbeitgeber diese einseitig abfinden. Eine Zustimmungspflicht des Arbeitnehmers besteht nicht, und zwar auch dann nicht, wenn die Zusage auf einer Entgeltumwandlungsvereinbarung beruht.
Diese Abfindungsmöglichkeit kommt aber nur dann in Betracht, wenn die abzufindende Versorgung "insgesamt" unterhalb der vorgenannten Benchmark liegt. Abzustellen ist also auf den "Gesamtbetrag" der dem Versorgungsberechtigten zustehenden Anwartschaft/laufenden Leistung. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Versorgung über verschiedene Durchführungswege, über verschiedene Zusagen innerhalb eines Durchführungswegs oder als Kombination von Renten- und Kapitalzusage oder teilweise arbeitgeberfinanziert und teilweise als Entgeltumwandlung erfolgt ist. Sprich: Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses kann gegenüber dem Versorgungsschuldner Arbeitgeber immer nur einmal auf die 1 %-Grenze abgestellt werden; der Wert der abzufindenden Versorgung ist daher immer additiv aus allen dem Versorgungsberechtigten gegenüber seinem Arbeitgeber zustehenden Versorgungsanrechten zu ermitteln (Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber/Betz-Rehm, § 3 Rn 48).
Rz. 165
Als Kompensation für diese zwangsweise Abfindung enthält § 3 Abs. 2 S. 3 BetrAVG einen gesetzlich zwingenden Vorrang des Rechtsanspruches auf Portabilität. Danach ist die Abfindung durch den Arbeitgeber dann unzulässig, wenn der Arbeitnehmer von seinem Recht auf Übertragung der Anwartschaft (§ 4 Abs. 3 BetrAVG) Gebrauch macht (vgl. Langohr-Plato/Teslau, NZA 2004, 1299).
aa) Abfindung bei Arbeitgeberwechsel innerhalb der EU
Rz. 166
Im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie zum 1.1.2018 durch das entsprechende Umsetzungsgesetz vom 21.12.2015 (BGBl I, 2553) sieht § 3 BetrAVG für Abfindungen ab dem 1.1.2018 unabhängig von ihrer Höhe vor, dass die Abfindung grundsätzlich immer nur mit Zustimmung des Versorgungsberechtigten erfolgen darf, wenn der ausgeschiedene Mitarbeiter ein neues Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedsland der EU begründet und dies innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinem ehemaligen Arbeitgeber mitteilt.
Insoweit hat der Gesetzgeber von der ihm im Rahmen der Mobilitätsrichtlinie eingeräumten Recht Gebrauch gemacht und die insoweit nach der EU-Mobilitätsrichtlinie geforderte Gesetzesänderung ausschließlich auf solche Arbeitgeberwechsel beschränkt, die einen EU-grenzüberschreitenden Bezug haben. Wechselt dagegen ein Arbeitnehmer innerhalb Deutschlands seinen Arbeitgeber, wird es daher auch künftig bei der einseitigen Abfindbarkeit sog. "Bagatellanwartschaften" bleiben.
bb) Einbeziehung laufender Renten in das Abfindungsverbot
Rz. 167
Nach Eintritt des Versorgungsfalles war bis Ende 2004 eine Abfindung stets zulässig.
Rz. 168
Die aktuellen Rahmenbedingungen für die Abfindbarkeit von Versorgungsanwartschaften gelten gem. §§ 3 Abs. 1, 30g Abs. 2 BetrAVG entsprechend für die Abfindbarkeit laufender Leistungen, die erstmals nach dem 31.12.2004 zur Auszahlung gelangt sind. Damit erfasst das Abfindungsverbot seit 2005 auch laufende Rentenzahlungen. Lediglich bereits vor dem 1.1.2005 erstmals gezahlte Renten können nach wie vor in unbegrenzter Höhe abgefunden werden. Um eine abfindbare "Altrente" handelt es sich auch dann, wenn eine bereits vor dem 1.1.2005 gezahlte Altersrente durch den Tod des Versorgungsberechtigten endet und nach dem 1.1.2005 dann erstmalig eine Hinterbliebenenrente fällig wird. Als aus dem Anspruch auf Altersrente abgeleitete Versorgungsleistung muss die Hinterbliebenenrente das Schicksal der ursprünglich gezahlten Altersrente teilen. War diese abfindbar, ist auch die Hinterbliebenenrente abfindbar.
I.Ü. können nur noch Bagatellrenten in dem oben dargestellten Umfang abgefunden werden.
Rz. 169
Eine Versorgungsanwartschaft, die nach § 3 Abs. 1 BetrAVG dem Abfindungsverbot unterliegt, kann auch nicht wirksam erlassen werden. § 3 BetrAVG erfasst damit nicht nur Abfindungs-, sondern auch Erlassverträge und Verzichtsvereinbarungen (BAG v. 22.9.1987, NZA 1988, 470).