Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 143
Für Direktversicherungen und bei Pensionskassen sieht § 2 Abs. 2 und 3 BetrAVG neben dem ratierlichen Berechnungsverfahren zur Ermittlung der unverfallbaren Versorgungsanwartschaft alternativ eine versicherungsvertragliche Abwicklung der unverfallbaren Versorgungsanwartschaft vor. Nach dieser sog. "versicherungsvertraglichen Lösung" kann der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich der im Gesetz vorgesehenen Erfüllung bestimmter "sozialer Auflagen", auf die vom Versicherer aufgrund des Versicherungsvertrags zu erbringende Versicherungsleistung verwiesen werden.
Rz. 144
Nach § 2 Abs. 2 S. 2 BetrAVG ist hierfür bei einer Direktversicherung erforderlich, dass
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spätestens nach drei Monaten seit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers das Bezugsrecht unwiderruflich ist und eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Versicherungsvertrages (Beleihung, Verpfändung, Abtretung) durch den Arbeitgeber rückgängig gemacht worden ist und auch keine Betragsrückstände vorliegen; |
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vom Beginn der Versicherung, frühestens jedoch vom Beginn der Betriebszugehörigkeit an, nach dem Versicherungsvertrag die Überschussanteile ausschließlich nur zur Verbesserung der Versicherungsleistung (= Leistungserhöhung) verwendet worden sind und |
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der ausgeschiedene Arbeitnehmer nach dem Versicherungsvertrag das Recht zur Fortsetzung der Versicherung mit eigenen Beiträgen hat. |
Rz. 145
Werden diese sozialen Auflagen nicht bzw. nicht fristgerecht erfüllt, bleibt es bei dem ratierlichen Berechnungsverfahren nach § 2 Abs. 1 BetrAVG. Soweit der Wert der unverfallbaren Versorgungsanwartschaft durch den Versicherungsvertrag nicht ausfinanziert ist, steht dem Arbeitnehmer i.H.d. Differenz gem. § 2 Abs. 2 S. 1 BetrAVG ein entsprechender Ergänzungsanspruch unmittelbar gegen den Arbeitgeber zu. Enthält die Versorgungszusage eine Regelung, wonach die Überschussanteile aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag zur Leistungserhöhung verwendet werden sollen, so ist das bis zum Ausscheiden erwirtschaftete Gewinnguthaben bei der ratierlichen Berechnung der Versorgungsanwartschaft ungekürzt zu berücksichtigen. Demgegenüber hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses noch anfallenden Gewinnanteile (BAG v. 29.7.1986 – 3 AZR 15/85, BB 1987, 692 = DB 1987, 743).
Rz. 146
Die Ausübung der versicherungsvertraglichen Lösung war bis Juni 2020 ein einseitiges, vom Arbeitnehmer nicht beeinflussbares Gestaltungsrecht des Arbeitgebers. Mit der zum 23.6.2020 vollzogenen Gesetzesänderung erfolgt die versicherungsvertragliche Lösung automatisch immer dann, wenn die im Gesetz normierten Voraussetzungen erfüllt sind; eines besonderen Verlangens des Arbeitgebers bedarf es hierfür nicht mehr.
Rz. 147
Im Zusammenhang mit der Gesetzesänderung vom 23.6.2020 ist in § 2 Abs. 2 und 3 BetrAVG zudem zusätzlich geregelt worden, dass durch die Anwendung der versicherungsvertraglichen Lösung der in § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG normierte Verschaffungsanspruch des Mitarbeiters gegenüber dem Arbeitgeber nicht untergeht. Die entgegenstehende Rechtsprechung des BAG (v. 19.5.2016 – 3 AZR 794/14, BetrAV 2016, 531 = Langohr-Plato, juris PR-ArbR 35/2016, Anm. 6) ist damit obsolet geworden. Kommt es nach Durchführung der versicherungsvertraglichen Lösung zu Leistungskürzungen durch den Versicherer/die Pensionskasse, haftet hierfür der (ursprüngliche) Arbeitgeber nach den bekannten Grundsätzen der Rechtsprechung zum Verschaffungsanspruch. Die versicherungsvertragliche Lösung ist danach keine Enthaftungsregelung, sondern lediglich eine Regelung zur Begrenzung der Haftung des Arbeitgebers.
Durch die versicherungsvertragliche Lösung und damit einhergehende Beschränkung auf den Anspruch gegen den Lebensversicherer findet somit ein Austausch der Haftungsgrundlage statt, die aber nicht zu einem endgültigen Untergang des Versorgungsverhältnisses führt (a.A.: BAG v. 19.5.2016 – 3 AZR 794/14, BetrAV 2016, 531 m.w.N.). Dieses wird erst dann für den Arbeitgeber haftungsbefreiend erfüllt, wenn aus dem Versicherungsvertrag auch tatsächlich die nach dem Versorgungsvertrag unter Berücksichtigung der versicherungsvertraglichen Lösung geschuldete Versorgungsleistung tatsächlich und ungeschmälert an den Versorgungsberechtigten erbracht wird. Kommt es nämlich nach Ausübung der versicherungsvertraglichen Lösung zu "Störfällen" im Versicherungsvertragsverhältnis – wie sie z.B. bei sanierungsbedürftigen Pensionskassen durch das Absenken garantierter versicherungsvertraglicher Leistungen bekannt geworden sind (vgl. hierzu u.a. BAG v. 15.3.2016 – 3 AZR 794/14, NZA 2016, 1205 = BetrAV 2016, 445; BAG v. 10.2.2015 – 3 AZR 65/14, BetrAV 2015, 522; BAG v. 19.6.2012 – 3 AZR 408/10, NZA-RR 2013, 426 = BetrAV 2012, 710), so würde ein durch die versicherungsvertragliche Lösung bedingter Untergang des Versorgungsverhältnisses dazu führen, dass der Versorgungsberechtigte das Risiko der Leistungsverschlechterung, für das bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis der Arbeitgeber über den Ver...