Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 592
Auch die Gründe, die Veranlassung geben, ein bestehendes Versorgungswerk zum Nachteil der Arbeitnehmer einzuschränken, können von ganz unterschiedlichem Gewicht sein. Ein Arbeitgeber kann vor dem wirtschaftlichen Ruin stehen, er kann aber auch "bloß" unternehmenspolitische Ziele verfolgen. Akzeptiert man, dass es sowohl Besitzstände als auch Eingriffsgründe von unterschiedlicher Stärke gibt, dann muss man auch anerkennen, dass der Eingriffsgrund umso gewichtiger sein muss, je stärker der Besitzstand ist, in den eingegriffen werden soll. Diese "Je-Desto-Regel" ist nichts anderes als die zivilrechtliche Ausprägung der Verfassungsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit und des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes (BAG v. 23.10.1990 – 3 AZR 260/89, NZA 1991, 242). Hiervon ausgehend unterscheidet die Rspr. die verschiedenen Gewichte der Eingriffsgründe wie folgt (vgl. u.a. BAG v. 17.4.1985 – 3 AZR 72/83, NZA 1986, 57; BAG v. 17.3.1987 – 3 AZR 64/84, NZA 1987, 855; BAG v. 18.4.1989 – 3 AZR 688/87, NZA 1990, 67; BAG v. 17.11.1992 – 3 AZR 76/92, NZA 1993, 939; vgl. ferner Langohr-Plato, MDR 1994, 858):
Rz. 593
Zwingender Grund
Hierunter versteht das BAG die schwersten Gründe, die für einen Eingriff in bestehende Rechte infrage kommen. Bisher hat der Ruhegeldsenat zu zwei Fallvarianten Stellung genommen, die im Vertragsrecht auch ohne entsprechenden Vorbehalt die Lösung von eingegangenen Verpflichtungen erlauben, weil die Geschäftsgrundlage der Zusage erschüttert oder weggefallen ist: Der Fall der schweren wirtschaftlichen Notlage des Versorgungsschuldners und der Fall der planwidrigen Überversorgung durch Änderung der Rahmenbedingungen. Einmal würde – ohne Entlastung – die Opfergrenze des Schuldners überschritten, im anderen Fall würde der mit der Zusage verfolgte Zweck, etwa die Erhaltung des bisherigen Lebensstandards im Ruhestand, massiv verfehlt.
Rz. 594
Zur Vermeidung von planwidrigen Überversorgungen können daher bestehende Obergrenzen dahin gehend reduziert werden, dass die Betriebsrente zusammen mit einem anrechenbaren Teil der gesetzlichen Sozialversicherungsrente 100 % des letzten Nettoeinkommens nicht übersteigen darf. Das Vertrauen der Versorgungsberechtigten darauf, eine höhere Gesamtversorgung erwarten zu können, ist nicht schutzwürdig; insoweit billigt das BAG sogar Eingriffe in bereits erdiente Anwartschaftswerte und sogar in den nach § 2 BetrAVG errechneten Teilbetrag (BAG v. 8.12.1981 – 3 ABR 53/80, NJW 1982, 1416; BAG v. 17.3.1987 – 3 AZR 64/84, NZA 1987, 855; BAG v. 23.10.1990 – 3 AZR 470/87, ZAP 1991, F. 17 R, S. 23 f. m. Anm. Langohr-Plato; BAG v. 23.10.1990 – 3 AZR 260/89, NZA 1991, 242; BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 455/06, DB 2008, S. 995; BAG v. 13.10.2020 – 3 AZR 410/19, NZA-RR 2021, 192; vgl. ferner Hanau/Preis, RdA 1988, 83 ff.). Sinn und Zweck der betrieblichen Altersversorgung ist nämlich nicht, dem Arbeitnehmer durch das Zusammenwirken von gesetzlicher und betrieblicher Altersversorgung zu höheren Bezügen im Ruhestand zu verhelfen, als er sie während seiner aktiven Dienstzeit hatte.
Rz. 595
Eine darüberhinausgehende Absenkung des Versorgungsniveaus auf z.B. 93,5 % der letzten Nettobezüge hat das BAG zwar in seinem Urt. v. 17.11.1992 (3 AZR 432/89, ZAP 1993, F. 17 R, S. 49 f. m. Anm. Langohr-Plato) auch für zulässig erachtet. Dabei handelte es sich jedoch um einen "Sonderfall" (Griebeling, ZIP 1993, 1061 in Fn 35) eines öffentlich-rechtlichen und damit zur sparsamen Haushaltsführung gesetzlich verpflichteten Arbeitgebers. In diesem Fall war die Rücknahme der Überversorgung schon deshalb gerechtfertigt, weil bereits die Zusage als solche vom BAG für rechtswidrig erachtet worden ist (so auch: BAG v. 13.10.2020 – 3 AZR 410/19, NZA-RR 2021, 192). Dagegen unterliegt der private Arbeitgeber keinen entsprechenden gesetzlichen Sparzwängen und kann seine Prioritäten freisetzen. Diese Unterschiede rechtfertigen nach Ansicht des BAG eine Differenzierung zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher betrieblicher Altersversorgung. Insoweit bleibt es daher im privaten Arbeitsverhältnis in Zusammenhang mit einem überversorgungsbedingten Abbau der Versorgungsleistungen bei einer Limitierung auf 100 % des letzten Nettoeinkommens.
Rz. 596
Diese Eingriffsmöglichkeit besteht allerdings nur für planwidrig (z.B. durch Änderungen in der gesetzlichen Rentenversicherung oder im Steuerrecht) eingetretene Überversorgungen. Versorgungszusagen, die von vornherein die Möglichkeit eröffnen, eine Gesamtversorgung zu erreichen, die über die letzten effektiven Arbeitseinkünfte hinausgeht, können dagegen nicht im Nachhinein allein mit der Begründung eingeschränkt werden, es sei eine sozial unerwünschte Überversorgung eingetreten (BAG v. 23.10.1990 – 3 AZR 470/87, ZAP 1991, F. 17 R, S. 23 f. m. Anm. Langohr-Plato).
Rz. 597
Zu beachten ist ferner, dass sich die Anpassungsregelungen beim Abbau einer planwidrigen Überversorgung an den Grundprinzipien der bisherigen Versorgungsordnung ausrichten müssen. Das Anpassungsrech...