Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 561
Das BAG unterscheidet allerdings zwischen der Kündbarkeit einer Betriebsvereinbarung und den Rechtsfolgen einer Kündigung (BAG v. 10.3.1992 – ABR 54/91, NZA 1993, 234; BAG v. 11.5.1999 – 3 AZR 21/98, BB 2000, 517).
Rz. 562
Betriebsvereinbarungen über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung unterscheiden sich nämlich von den Betriebsvereinbarungen über andere freiwillige Leistungen:
Rz. 563
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erhält der Arbeitnehmer erst, wenn er seinerseits vorgeleistet hat. Die Leistung, die durch Versorgung entgolten wird, ist die dem Arbeitgeber während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses erwiesene Betriebstreue, die Gesamtheit der ihm erbrachten Dienste. Die vom Arbeitgeber zugesagte Gegenleistung kann nicht wegfallen, ohne dass es dafür rechtlich billigenswerte Gründe gibt.
Rz. 564
Somit entfällt mit dem Wegfall der unmittelbaren und zwingenden Wirkung der gekündigten Betriebsvereinbarung die Rechtsgrundlage für die Entstehung von Versorgungsansprüchen für alle betriebsangehörigen Arbeitnehmer, die noch keinen Vollanspruch erdient haben. Auch für die betriebliche Altersversorgung gelten die Konsequenzen und Rechtsfolgen des BetrVG. Der Erwerb eines Anspruches auf betriebliche Versorgungsleistungen setzt nämlich nach der Ansicht des BAG voraus, dass die Voraussetzungen unter der Geltung der Versorgungszusage erfüllt werden. Ist die Zusage jedoch durch Kündigung der Rechtsgrundlage "Betriebsvereinbarung" aufgehoben worden, können auch die dort aufgestellten Leistungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt werden.
Rz. 565
Die Wirkung der Kündigung einer Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung ist allerdings mithilfe der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu begrenzen. Deshalb werden die aufgrund einer Betriebsvereinbarung erworbenen Besitzstände der betroffenen Arbeitnehmer kraft Gesetzes nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes geschützt. Je stärker in Besitzstände und Erwerbschancen eingegriffen wird, desto gewichtiger müssen die Änderungsgründe sein.
Rz. 566
Dies hat zur Konsequenz, dass der Widerruf einer Betriebsvereinbarung über betriebliche Versorgungsleistungen nur in zukünftig erdienbare Rechtspositionen des Versorgungsberechtigten eingreifen kann und der bis zum Widerruf erdiente Besitzstand grds. aufrechtzuerhalten ist (a.A. Roßmanith, DB 1999, 634 ff., der der Kündigung einer Betriebsvereinbarung nur einer der Schließung des Versorgungswerks vergleichbaren Rechtswirkung beimisst. Danach soll sie ausschließlich bewirken, dass neu eintretende Mitarbeiter aus ihr keine Rechte ableiten können). Soweit hiernach Versorgungsbesitzstände unangetastet bleiben, ist deren Rechtsgrundlage weiterhin die gekündigte Betriebsvereinbarung (BAG v. 11.5.1999 – 3 AZR 21/98, BB 2000, 517; BAG v. 17.8.1999 – 3 ABR 55/98, NZA 2000, 498), die somit zumindest faktisch nachwirkt.
Rz. 567
Soweit der Arbeitgeber mit der Kündigung "nur" erreichen will, dass die in der Vergangenheit erdienten Versorgungsanwartschaften weiter anwachsen, ist dies nur möglich, wenn die Kündigung durch sachlich-proportionale Gründe gerechtfertigt ist (BAG v. 17.8.1999 – 3 ABR 55/98, NZA 2000, 498). Unter sachlich-proportionalen Gründen, die als Rechtfertigung für einen Eingriff in die Chance auf künftige Zuwächse ausreichen, versteht das BAG in ständiger Rechtsprechung willkürfreie, nachvollziehbare und anerkennenswerte Gründe, die auf einer wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung des Unternehmens oder einer Fehlentwicklung des betrieblichen Versorgungswerks beruhen können (BAG v. 17.8.1999 – 3 ABR 55/98, NZA 2000, 498).
Rz. 568
Insoweit obliegt es dem Arbeitgeber darzulegen, inwieweit die Eingriffe in die betriebliche Altersversorgung in Bezug auf die eingetretene wirtschaftliche Situation verhältnismäßig sind. Diese Darlegungslast umfasst die Gesamtheit der Maßnahmen, die unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage die beabsichtigte Kosteneinsparung erzielen sollen. Der Eingriff in das betriebliche Versorgungswerk muss sich in ein nachvollziehbar auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ausgerichtetes Gesamtkonzept einpassen.
Eine "willkürliche" Kündigung ist damit ausgeschlossen.
Rz. 569
Die nach der Kündigung der Betriebsvereinbarung verbleibenden Rechtspositionen genießen also unverändert den Schutz des § 77 Abs. 4 BetrVG.
Rz. 570
Der Betriebsrat ist allerdings befugt, im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren feststellen zu lassen, welche Wirkungen die Kündigung hat und in welchem Umfang die Betriebsvereinbarung noch fort gilt. Das BAG ist zudem der Ansicht, dass die Entscheidung über einen solchen Antrag auch den Arbeitgeber und die betroffenen Arbeitnehmer im Verhältnis zueinander bindet. Eine konkrete Billigkeitskontrolle im Individualverfahren ist hierdurch nicht jedoch ausgeschlossen (BAG v. 17.8.1999 – 3 ABR 55/98, NZA 2000, 498).