Rz. 531

Viele Unternehmen, die in den Zeiten starken Wirtschaftswachstums und Arbeitskräftemangels eine Vielzahl freiwilliger Sozialleistungen (z.B. Gratifikationen, Jubiläumszuwendungen, betriebliche Versorgungsleistungen) eingeführt haben, sind heute unter veränderten wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen gezwungen, die entsprechenden betrieblichen Entscheidungsfelder einer Überprüfung zu unterziehen.

 

Rz. 532

Angesichts dieser Entwicklung nimmt die Rspr. zum Bestandsschutz betrieblicher Versorgungszusagen zunehmend für die Entscheidungen der Arbeitgeber zentrale Bedeutung ein.

 

Rz. 533

Nachfolgend soll daher aufgezeigt werden, ob, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Eingriffe des Arbeitgebers in ein bestehendes Versorgungssystem überhaupt zulässig sind.

1. Schließung eines betrieblichen Versorgungswerkes

 

Rz. 534

Der einfachste Eingriff in ein betriebliches Versorgungswerk ist dessen Schließung. Konsequenz hieraus ist, dass neu eintretende Mitarbeiter keinerlei Versorgungsansprüche mehr erwerben können. Dagegen bleibt die Versorgungsordnung für bereits vor der Schließung eingestellte Mitarbeiter in vollem Umfang bestehen.

 

Rz. 535

Eine stichtagsbezogene Schließung und der daraus resultierende Ausschluss neu eintretender Mitarbeiter aus dem betrieblichen Versorgungswerk ist ohne Weiteres zulässig und wird weder durch den Gleichbehandlungsgrundsatz noch durch Mitwirkungsrechte des Betriebsrates eingeschränkt.

 

Rz. 536

Insoweit steht dem Arbeitgeber nämlich ein mitbestimmungsfreier Gestaltungsspielraum zu. Die stichtagsbezogene Schließung eines betrieblichen Versorgungswerkes vom Arbeitgeber kann folglich mitbestimmungsfrei und damit einseitig vollzogen werden (BAG v. 15.2.2011 – 3 AZR 35/09, NZA-RR 2011, 541; Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber/Betz-Rehm, § 1 Rn 277; Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, Rn 1500 ff.). Die Schließung muss nur dokumentiert werden, damit sich neu eintretende Mitarbeiter nicht auf einen z.B. durch betriebliche Übung oder Gleichbehandlung bedingten Vertrauenstatbestand berufen können, der die Gewährung betrieblicher Versorgungsleistungen auch ihnen ggü. bindend macht.

2. Einschränkende Neuordnung

 

Rz. 537

Die betriebliche Altersversorgung gehört zum Bereich der freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen. Die Freiwilligkeit ihrer Einführung ist trotz der erheblichen Reglementierung durch Arbeits- und Steuerrecht sowie die zum Betriebsrentenrecht ergangene Rspr. im Prinzip nicht aufgehoben worden.

 

Rz. 538

Vereinbarungen über die Verschlechterung oder gar Aufhebung von Versorgungszusagen sind daher im fortbestehenden Arbeitsverhältnis grds. nicht unzulässig (BAG v. 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971; BAG v. 14.8.1990 – 3 AZR 301/89, NZA 1991, 174).

 

Rz. 539

Allerdings kann ein einmal freiwillig eingeführtes Versorgungswerk nicht willkürlich geändert, gekürzt oder gar völlig eingestellt werden. Der betrieblichen Altersversorgung ist nämlich nach der inzwischen gefestigten und st. Rspr. des BAG (grundlegend u.a. BAG v. 10.3.1972 – 3 AZR 278/71, BB 1972, 1005; BAG v. 30.3.1973 – 3 AZR 26/72, NJW 1973, 959; BAG v. 16.12.1976 – 3 AZR 761/75, BB 1977, 146; BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 614/78, NJW 1980, 1181; BAG v. 28.9.1981 – 3 AZR 181/80, DB 1982, 126; BAG v. 17.4.1985 – 3 AZR 72/83, NZA 1986, 57; BAG v. 5.9.1989 – 3 AZR 575/88, BB 1989, 2400 m. Anm. Höfer/Reiners; Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, Einl., Rn 28 ff.) Entgeltcharakter beizumessen. Als eine derartige besondere Form der Vergütung ist eine einseitige Reduzierung des Versorgungsniveaus regelmäßig unzulässig. Vielmehr sind vertragliche Beziehungen sowohl auf individualrechtlicher (Arbeitsvertrag, Einzelvertrag, betriebliche Übung) als auch auf kollektivrechtlicher (Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag) Ebene zu beachten. Zudem darf das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht vernachlässigt werden, das im Wesentlichen bei der Gestaltung des betrieblichen Versorgungswerkes zum Zuge kommt. Dazu gehört insb. die Gestaltung des Leistungsplans, d.h. die Verteilung der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel.

 

Rz. 540

Die formale Gestaltungsmöglichkeit zur Änderung und zum Widerruf von Versorgungszusagen richtet sich somit in erster Linie nach dem jeweiligen Verpflichtungstatbestand. So ist ein einseitiger Widerruf von Versorgungsverpflichtungen im Hinblick darauf, dass der Widerruf ein einseitiges, individualrechtliches Gestaltungsmittel ist, formaljuristisch auch nur im Bereich individualrechtlich ausgestalteter Versorgungsvereinbarungen zulässig (vgl. Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, Anh. § 1 Rn 489 ff.). Bei kollektivrechtlich begründeten Versorgungsverpflichtungen ist demgegenüber die Möglichkeit der Kündigung dieser kollektivrechtlichen Vereinbarung zu prüfen (BAG v. 11.5.1999 – 3 AZR 21/98, BB 2000, 517; BAG v. 17.8.1999 – 3 ABR 55/98, NZA 2000, 498).

 

Rz. 541

Werden die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretung nicht beachtet, so ist die Änderungsmaßnahme bereits aus diesem Grunde rechtlich unwirksam.

 

Rz. 542

Die Verpflichtung zur Gewährung betrieblicher Versorgungsle...

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