Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 620
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Gewährung betrieblicher Versorgungsleistungen können sich aus § 87 BetrVG ergeben. Gem. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG hat der Betriebsrat bei Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist, ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Darüber hinaus besteht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ein zwingendes Mitbestimmungsrecht in allen Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insb. bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen, der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung (so bereits BAG v. 12.6.1975 – 3 ABR 13/74, BB 1975, 1062).
1. Gesetzliche Mitbestimmungstatbestände
Rz. 621
Betriebliche Versorgungsleistungen sind zusätzliches Entgelt für eine vom Arbeitnehmer bereits erbrachte Betriebstreue und unterliegen als solches grds. der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dies gilt insb. für unmittelbare Pensionszusagen, Direktversicherungen und Pensionsfondszusagen.
Rz. 622
Soweit die betriebliche Altersversorgung über eine betriebliche Unterstützungskasse oder Pensionskasse erbracht wird, handelt es sich bei diesen Versorgungsinstitutionen um Sozialeinrichtungen i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG. Dagegen ist die vom Arbeitgeber zur Finanzierung einer betrieblichen Versorgungszusage abgeschlossene Rückdeckungsversicherung keine Sozialeinrichtung i.S.d. Vorschrift (BAG v. 16.2.1993 – 3 ABR 29/92, NZA 1993, 953), sodass dem Betriebsrat auch kein Mitbestimmungsrecht bzgl. der Verwendung der in diesem Versicherungsvertrag erzielten Gewinnbeteiligung zusteht.
Rz. 623
Zu beachten ist ferner der auf das Unternehmen bzw. den Konzernverbund beschränkte Anwendungsbereich dieses Mitbestimmungsrechtes. Zuständiges Mitbestimmungsorgan ist dann je nach dem Wirkungsbereich der zu treffenden Vereinbarung entweder der Betriebsrat, der Gesamtbetriebsrat oder der Konzernbetriebsrat.
Rz. 624
Sind dagegen verschiedene, voneinander unabhängige Unternehmen Mitglied bzw. Trägerunternehmen einer sog. "überbetrieblichen" Pensions- bzw. Unterstützungskasse, so regelt sich die Mitbestimmung des Betriebsrates über das allgemeine Lohngestaltungs-Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG (BAG v. 22.4.1986 – 3 AZR 100/83, NZA 1986, 574). Mitbestimmungspflichtiger Tatbestand ist dabei das Abstimmungsverhalten des Arbeitgebers in der Sozialeinrichtung (BAG v. 9.5.1989 – 3 AZR 439/88, NZA 1989, 889).
Rz. 625
Inhaltlich besteht zwischen den beiden Mitbestimmungsnormen des § 87 Abs. 1 Nr. 8 und Nr. 10 BetrVG allerdings kein Unterschied (BAG v. 26.4.1988 – 3 AZR 168/86, NZA 1989, 219).
2. Umfang des Mitbestimmungsrechts
Rz. 626
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates beziehen sich zunächst einmal nur auf Angelegenheiten mit kollektivem Bezug. Die Vereinbarung einer echten Individualzusage, d.h. einer Regelung im Einzelfall, unterliegt daher nie dem gesetzlich zwingenden Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
Rz. 627
Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates finden ferner ihre Grenzen dort, wo gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen bestehen, § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Gesetzes- und Tarifrecht haben somit eine Vorrangstellung.
Rz. 628
Das BAG hat darüber hinaus in seiner Rspr. zu § 87 BetrVG den inhaltlichen Umfang des gesetzlichen Mitbestimmungsrechtes exakt abgegrenzt. Ausgehend von der Tatsache, dass die Gewährung betrieblicher Versorgungsleistung in Deutschland auf freiwilliger Basis erfolgt, hat es dabei zugunsten des Arbeitgebers einen mitbestimmungsfreien Gestaltungsspielraum definiert, wonach der Arbeitgeber in vierfacher Hinsicht frei von Mitbestimmungszwängen entscheiden kann, nämlich
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ob er überhaupt finanzielle Mittel für ein betriebliches Versorgungssystem zur Verfügung stellen will, |
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in welchem finanziellen Umfang (Dotierungsrahmen) er das tun will, |
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welche Versorgungsform (Durchführungsweg) er wählen will und |
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welchen Arbeitnehmerkreis er versorgen will |
(st. Rspr., vgl. u.a. BAG v. 12.6.1975 – 3 ABR 137/73, BB 1975, 1064; BAG v. 12.6.1975 – 3 ABR 13/74, BB 1975, 1062; BAG v. 12.6.1975 – 3 ABR 66/74, BB 1975, 1065; BAG v. 18.3.1976 – 3 ABR 34/75, DB 1976, 683; BAG v. 18.3.1976 – 3 ABR 32/75, BB 1976, 1175; BAG v. 26.4.1988 – 3 AZR 168/86, NZA 1989, 219; BAG v. 16.2.1993 – 3 ABR 29/92, NZA 1993, 953 = ZAP 1994, F. 17 R, S. 59 m. Anm. Langohr-Plato).
Rz. 629
Nicht mitbestimmungspflichtig sind ferner Entscheidungen des Arbeitgebers, die nicht die Lohngestaltung betreffen. Hierzu gehören u.a. der Wechsel des Durchführungsweges sowie die Auswahl und der Wechsel des Versicherungsunternehmens bei einer Direktversicherung (BAG v. 16.2.1993 – 3 ABR 29/92, NZA 1993, 953; BAG v. 29.7.2003 – 3 ABR 34/02, DB 2004, 883; LAG Hamm v. 8.5.2002 – 10 TaBV 132/01, NZA-RR 2003, 99; Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, Anh. § 1 Rn 414).
Rz. 630
Im Rahmen dieses Gestaltungsspielraums ist der Arbeitgeber lediglich gem. § 75 Abs. 1 BetrVG an die Grundsätze von Recht und Billigkeit (vgl. BAG v. 12.6.1975 – 3 ABR 137/73, BB 1975, 1064) sowie an den Gleichbehandlun...