Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 238
Gem. § 6 S. 1 BetrAVG sind einem Arbeitnehmer, der die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor Vollendung des 65. Lebensjahres in voller Höhe in Anspruch nimmt, auf sein Verlangen nach Erfüllung der Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen auch die zugesagten Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung zu gewähren.
1. Leistungsvoraussetzungen
Rz. 239
Generelle Voraussetzung für den Bezug einer vorzeitigen betrieblichen Altersversorgungsleistung ist die Inanspruchnahme einer gesetzlichen Vollrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres. Der entsprechende Hinweis im Gesetz auf den Bezug der gesetzlichen Altersrente "in voller Höhe" hat zur Konsequenz, dass beim Bezug einer gesetzlichen Teilrente nach § 42 SGB VI kein gesetzlicher Anspruch auf eine betriebliche Teilrente entsteht. Den Vertragsparteien steht es allerdings frei, über den Mindestschutz des BetrAVG hinaus im Rahmen einer Versorgungsordnung auch eine betriebliche Teilrente als Versorgungsleistung zu vereinbaren und damit entsprechende vertragliche Leistungsansprüche zu begründen. Demgegenüber ist die mit versicherungsmathematischen Abschlägen belegte vorgezogene gesetzliche Altersrente eine Vollrente i.S.v. § 6 BetrAVG.
Rz. 240
§ 6 BetrAVG regelt nur die Pflicht zur Gewährung vorzeitiger betrieblicher Altersversorgungsleistungen bei Bezug einer vorzeitigen Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Damit werden vom Anwendungsbereich des § 6 BetrAVG auch nur solche Mitarbeiter erfasst, die in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind. Versorgungsberechtigte, die nicht der gesetzlichen Rentenversicherung der BRD unterfallen, haben folglich keinen gesetzlichen Anspruch auf eine vorgezogene betriebliche Altersrente. Dies gilt auch für die Versorgungsberechtigten, die sich durch den Abschluss einer befreienden Lebensversicherung von der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht "freigekauft" haben (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 24.7.1990 – 3 Sa 254/90, NZA 1991, 939). Um diesem Personenkreis gleichwohl einen flexiblen Übergang in den Ruhestand ermöglichen zu können, empfiehlt es sich, in der Versorgungsordnung entsprechende Regelungen aufzunehmen, die einen vertraglichen Anspruch auf eine vorgezogene Betriebsrente begründen. Insoweit kann auf das Ausscheiden des Versorgungsberechtigten und der fiktiven Prüfung eines bei bestehender Pflichtversicherung gegebenen gesetzlichen Leistungsanspruches abgestellt werden.
Rz. 241
Der Anspruch auf die vorzeitige betriebliche Altersversorgung ist von einem ausdrücklichen Leistungsbegehren des Arbeitnehmers ("auf sein Verlangen") abhängig. Erforderlich ist somit ein entsprechender Antrag des Versorgungsberechtigten ggü. dem Arbeitgeber bzw. ggü. dem die Versorgung durchführenden selbstständigen Versorgungsträger (Unterstützungskasse, Pensionskasse, Lebensversicherer). Ist der Arbeitgeber zwischenzeitlich insolvent geworden, ist der Anspruch gegen den PSV zu richten (BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, NJW 1980, 2257). Der Arbeitnehmer muss als Leistungsnachweis dem Antrag die Dokumente beifügen, aus denen sich der Bezug der vorgezogenen gesetzlichen Altersrente ergibt. Eine bestimmte Form oder Frist für den Leistungsantrag des Arbeitnehmers ist nicht erforderlich (BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, NJW 1980, 2257).
2. Leistungsumfang
Rz. 242
§ 6 BetrAVG regelt einen Versorgungsfall kraft Gesetzes. Dabei beschränkt sich die gesetzliche Bestimmung allerdings auf Regelung des Anspruchs dem Grunde nach. Über die Höhe des Anspruches auf vorzeitige betriebliche Altersversorgung hat der Gesetzgeber bewusst keine Regelungen getroffen, sondern dies grds. der Disposition der Vertragsparteien überlassen.
Rz. 243
Soweit betriebliche Versorgungsleistungen über eine Pensionskasse erbracht werden, sind die vorgezogenen Versorgungsleistungen allerdings der Höhe nach auf die für den einzelnen Versorgungsberechtigten zum Zeitpunkt des Abrufes vorhandenen Deckungsmittel beschränkt (vgl. VerBAV Nr. 5/72 v. 28.11.1972, VerBAV 1972, 321). Entsprechendes gilt für Direktversicherungen, bei denen sich die Höhe der vorgezogenen Versorgungsleistungen nach dem jeweiligen Geschäftsplan des Versicherers regelmäßig auf das geschäftsplanmäßige Deckungskapital ohne Stornoabschläge beschränkt (vgl. Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, VerBAV 1979, 346; Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, § 6 Rn 174 ff.).
Rz. 244
Ausgehend von der Tatsache, dass durch die vorgezogene Altersrente einerseits die tatsächliche Dienstzeit und damit die Betriebstreue des Versorgungsberechtigten reduziert und andererseits die Rentenlaufzeit entsprechend verlängert wird, ist als Ausgleich hierfür bei unmittelbaren Pensionszusagen und Unterstützungskassenzusagen allgemein die Zulässigkeit von Leistungskürzungen anerkannt (vgl. Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, § 6 Rn 90 f.).
Rz. 245
Soweit die Vertragsparteien individual- oder kollektivrechtlich entsprechende Leistungskürzungen vereinbaren, unterliegen diese Vereinbarungen den Grundsätzen von Recht und Billigkeit (BAG v. 20.4.1...