Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
A. Entwicklung und Bedeutung betrieblicher Versorgungsleistungen
Rz. 1
Betriebliche Leistungen zur Alterssicherung sind grds. freiwillige Sozialleistungen der Arbeitgeber. Ihre Existenz ist älter als das System der gesetzlichen Sozialversicherung in Deutschland. Bereits rund 40 Jahre bevor 1891 die gesetzliche Invalidenversicherung eingeführt wurde, hatten Großunternehmen wie z.B. die Gutehoffnungshütte (1850), Krupp/F. Henschel (1858), Siemens (1872), Höchst (1882) oder die Dresdner Bank (1890) die Notwendigkeit erkannt, eigene Sozialleistungen für ihre Arbeitnehmer gewähren zu müssen. Basis dieser betrieblichen Versorgungsidee war damals allerdings noch eine rein patriarchalische Philosophie ohne gesetzliche Reglementierungen. Diese erfolgte zumindest für den arbeitsrechtlichen Bereich erstmalig mit dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz/BetrAVG) v. 19.12.1974. Dieses Gesetz galt bis 1999 unverändert und wurde seither durch diverse Neuregelungen, u.a. das Rentenreformgesetz 1999, das Altersvermögensgesetz 2001, das Alterseinkünftegesetz 2004 und das 2. Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006 und zuletzt durch Art. 23 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts vom 22.12.2020 (BGBl. I, 3256) immer wieder modifiziert, durch andere Gesetzesänderungen (u.a. Insolvenzrechtsreform, Fristenänderungsgesetz, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, Reform des Versorgungsausgleichs) tangiert und durch europarechtliche Entwicklungen (u.a. Mobilitätsrichtlinie, Portabilitätsrichtlinie, Richtlinien zur Lohn -und Geschlechter-Gleichbehandlung) nachhaltig beeinflusst.
B. Begriff und Rechtsnatur der betrieblichen Altersversorgung
Rz. 2
Nach der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG wird betriebliche Altersversorgung als Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung definiert, die einem Arbeitnehmer aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses zugesagt worden sind.
Rz. 3
Diese arbeitsrechtliche Definition des Begriffes der betrieblichen Altersversorgung ist abschließend und enthält alle Voraussetzungen, die für die Qualifikation einer Leistung als betriebliche Altersversorgung erforderlich sind (BAG v. 28.10.2008 – 3 AZR 317/07, BetrAV 2009, 370). Der Begriff der betrieblichen Altersversorgung erstreckt somit auf bestimmte biometrische Risiken wie Alter, Langlebigkeit, Tod und Invalidität. Er umfasst dagegen nicht andere Lebensrisiken wie z.B. Krankheitsrisiken. Irrelevant ist, ob Geld- oder Sachleistungen erbracht werden, und ob diese einmalig oder laufend oder in sonstigen Zeitabständen gezahlt werden (grundlegend: BAG v. 12.12.2006 – 3 AZR 476/05, NZA-RR 2007, 653 = DB 2007, 2043; vgl. auch Reinecke, DB 2007, 2836).
I. Kennzeichnende Merkmale
Rz. 4
Zu den Merkmalen einer betrieblichen Altersversorgung gehören somit das Versprechen einer Leistung zum Zweck der Versorgung, ein das Versprechen auslösendes biologisches Ereignis wie Alter, Invalidität oder Tod sowie die Zusage an einen Arbeitnehmer durch einen Arbeitgeber aus Anlass des Arbeitsverhältnisses (BAG v. 26.4.1988 – 3 AZR 411/86, DB 1988, 1019 = NZA 1989, 182; BAG v. 8.5.1990, DB 1990, 2375 = NZA 1990, 931). Darüber hinaus existieren keine weiteren einschränkenden, ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale.
Rz. 5
Das BAG stellt hinsichtlich des Versorgungszweckes im Wesentlichen auf den Zeitpunkt des Eintrittes in den Ruhestand als rein formales Kriterium ab, und qualifiziert alle nach diesem Zeitpunkt gezahlten Leistungen als betriebliche Altersversorgung. Nach Ansicht des BAG erfüllen alle Leistungen einen Versorgungszweck, die den Lebensstandard des Versorgungsberechtigten im Versorgungsfall dauerhaft oder auch nur zeitlich befristet verbessern sollen (BAG v. 28.10.2008 – 3 AZR 317/07, BetrAV 2009, 370; vgl. auch Cisch/Bleeck, BB 2009, 1070).
Rz. 6
Die Einordnung einer zugesagten Leistung des Arbeitgebers als Leistung der betrieblichen Altersversorgung ist eine Rechtsfrage. Die rechtlichen Konsequenzen dieser Einordnung stehen nicht zur Disposition der Vertragsparteien, die nur den Vertragsinhalt festlegen können. Bei der rechtlichen Würdigung des Vertragsinhaltes kommt es dann entscheidend nur auf eine objektive Wertung und nicht auf subjektive Vorstellungen an (BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 121/89, DB 1990, 2375 = NZA 1990, 931). Irrelevant ist demgemäß auch die Bezeichnung einer Leistung durch die Vertragsparteien.
II. Ausgestaltung betrieblicher Versorgungsleistungen
Rz. 7
Für die Gewährung betrieblicher Versorgungsleistungen gilt grds. der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Das BetrAVG enthält als Arbeitnehmerschutzgesetz zwar einige einschränkende Regelungen (z.B. Unverfallbarkeit, Auszehrungs-, Anrechnungs- und Abfindungsverbot, Anpassungsprüfung), die der Arbeitgeber als gesetzlichen Mindeststandard zwingend beachten muss, wenn er sich einmal zur Zusage entsprechender Leistungen entschlossen hat, und von denen nach § 17 Abs. 3 S. 3 BetrAVG auch nicht zuungunsten des Arbeitnehmers, und zwar auch nicht mit dessen Zustimmung, abgewichen werden darf. Darüber hinaus sind jedoch nur solche Vereinbarungen unzulässig, die entweder geg...