Prof. Dr. Hans Josef Vogel
Rz. 107
Das Kündigungsrecht erfordert eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise. Die Frage, wann diese vorliegt, wird durch eine Gesamtwürdigung beantwortet, die
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den Reisezweck, |
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den Reisecharakter, |
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die Dauer der Mängel und |
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den Umfang der Mängel |
einschließt.
Rz. 108
Klar sind alle Fälle, in denen die Reise vollständig vereitelt oder frustriert wird – hierzu gehören Fälle, in denen der Reisveranstalter unberechtigt kündigt oder die Leistung insgesamt nicht dem Zweck des Urlaubs entspricht. Die Beurteilung ist indes nicht an den subjektiven Vorstellungen des Reisenden orientiert, sondern an der Sicht eines normalen Durchschnittsreisenden. Subjektive Beeinträchtigungen spielen nur insoweit eine Rolle, wie sie einen Niederschlag in den besonderen Vorgaben des Reisenden (Art. 250 § 6 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB) gefunden haben. Diese objektive Sicht auf die Bewertung stellt häufig einen Diskussionspunkt in der Beratung des Reisenden dar: Die eigene Gefühlslage des Reisenden ("das geht gar nicht", "dafür fahre ich nicht in Urlaub") muss auf die objektive Sicht zurückgeführt werden. Wenn dieses subjektive Empfinden aber in der Reisebeschreibung Niederschlag gefunden hat, d.h. wenn die Reise gerade einem bestimmten Zweck diente, ist dies zu berücksichtigen. Der Zustand einer hoteleigenen Tennisanlage ist von geringerer Bedeutung bei einem normalen Badeurlaub als bei einem Urlaub, der als Tennisurlaub beworben und gebucht wird. Auch die subjektive Unzumutbarkeit reicht nach § 651l Abs. 1 S. 1 BGB (anders als noch nach § 651e Abs. 1 S. 2 BGB a.F.) nicht mehr aus, um eine Kündigung bei nicht erheblichen, aber subjektiv unzumutbaren Mängeln zu begründen. Nach der alten Rechtslage konnte beispielsweise ein auf einen Aufzug angewiesener Reisender den Vertrag kündigen, wenn der Aufzug defekt war, auch wenn sein Zimmer in der 1. Etage gut erreichbar war. Jetzt wäre die Kündigung nur noch statthaft, wenn die Nutzbarkeit des Aufzugs direkt eine besondere Vorgabe des Reisenden war oder sich aus anderen Gründen (Ausstattung für mobilitätseingeschränkte Reisende als Vorgabe) ergab.
Rz. 109
Bei einer Vielzahl von kleineren Mängeln ist die Kündigung nicht schematisch mit einer kumulierten Minderungsquote zu rechtfertigen; die kumulierte Minderungsquote (als die Quote, die für alle Mängel während der Fortdauer der Reise zu errechnen ist) gibt aber ein wesentliches Indiz für die Erheblichkeit der Mängel. Diese Minderung muss fiktiv berechnet werden, d.h. wenn die Reise gekündigt und abgebrochen wird, ist entscheidend, ob die Mängel bis zum vertraglichen Ende der Reise fortbestanden hätten. Feste Quoten, die von 20 % bis 50 % reichen, hat der BGH nicht festgelegt, sondern vielmehr einer Minderungsquote von 50 % oder mehr indizielle Wirkung für eine erhebliche Beeinträchtigung zugesprochen und gleichzeitig klargestellt, dass eine geringere Minderungsquote kein Indiz für das Fehlen einer erheblichen Beeinträchtigung ist.
Rz. 110
Letztlich bleibt nur eine Überprüfung der Rechtsprechung des zuständigen Gerichts und eine Darstellung der Einschränkungen, um dem erkennenden Gericht eine Bewertung zu ermöglichen, und hier insbesondere die besonderen Vorgaben des Reisenden und die Beschaffenheitsvereinbarungen (wie etwa eine besondere Beförderungsklasse oder Hotelausstattungen) darzustellen.