Prof. Dr. Hans Josef Vogel
Rz. 87
Mit der Selbstabhilfe (§ 651k Abs. 2 BGB) nimmt der Reisende das Schicksal der Reise in die eigene Hand, um die Erfüllung des Pauschalreisevertrags zu erreichen. Voraussetzung ist der fruchtlose Ablauf einer durch den Reisenden gesetzten Frist zur Abhilfe oder die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung.
(1) Fristsetzung
Rz. 88
Anders als nach dem früheren Rechtsstand muss der Reisende nicht mehr über die Notwendigkeit der Fristsetzung in den (vor)vertraglichen Informationen aufgeklärt werden. Die Information erhält der Reisende nur noch aus dem Gesetz. Die Fristsetzung kann, muss aber nicht mit dem Abhilfeverlangen zusammen ausgesprochen werden. Eine spätere gesonderte Fristsetzung ist also möglich, wenn auch im Regelfall der Reisende die Fristsetzung mit Mängelanzeige und Abhilfeverlangen in einer Erklärung zusammenfassen wird.
Rz. 89
Die Frist muss angemessen sein; was angemessen ist, bleibt eine von den Umständen abhängige Einzelfallentscheidung, bei der die Interessen des Reisenden und die des Reiseveranstalters zu berücksichtigen sind. Der Reisende will die kurze Zeit der Reise ohne Mängel erleben; eine rasche Abhilfe ist für ihn typischerweise wichtig. Je kürzer die Reise ist, desto drängender ist die Abhilfe. Zu berücksichtigen sind weiterhin die Art und Schwere des Mangels sowie das Maß der Beeinträchtigung des Urlaubs. Die nicht funktionierende Klimaanlage bedarf in einem heißen Hochsommer einer rascheren Reparatur als bei einem angenehmen Frühlingsaufenthalt. Eine nicht zur Verfügung stehende Unterkunft bei Anreise wiegt noch schwerer, wenn die Ankunft bereits zur Nachtzeit erfolgt, als am Nachmittag. Auf Seiten des Reisenden sind auch seine persönlichen Umstände zu berücksichtigen. Mitreisende Kinder erfordern, wenn sie durch einen Mangel betroffen sind, eine schnellere Reaktion; Gleiches gilt, wenn der Reisende unter gesundheitlichen Einschränkungen leidet.
Zu berücksichtigen ist andererseits, welche Zeit objektiv erforderlich ist, um den Mangel zu beseitigen. Dies hängt neben der Art des Mangels u.a. auch von dem Ziel der Reise und dem technischen Aufwand ab. In Ländern, in denen die Infrastruktur noch nicht so weit entwickelt ist, kann die Frist für eine Abhilfe, wenn etwa technische Hilfsmittel erforderlich sind, nicht so gesetzt werden wie in Europa.
Rz. 90
Wenn keine raschere Abhilfe geboten ist, kann bei einem nicht erheblichen Mangel eine Frist von ein bis zwei Tagen immer als angemessen angesehen werden. Wird lediglich eine unbestimmte Frist gesetzt, wird eine angemessene Frist in Gang gesetzt.
Rz. 91
Bei Streit um die Angemessenheit der Frist müssen die wesentlichen Umstände, aus denen sich die Angemessenheit der Frist ergibt, im Prozess vorgetragen werden. Je konkreter der Vortrag ist, desto eher kann die Angemessenheit durch das entscheidende Gericht angenommen werden.
(2) Entbehrlichkeit der Fristsetzung
Rz. 92
Einer Fristsetzung bedarf es nicht in allen Fällen. Wenn der Reiseveranstalter die Abhilfe verweigert, bedarf es keiner Frist. Von einer Verweigerung ist auch auszugehen, wenn die Antwort des Veranstalters (oder seiner Reiseleitung bzw. anderen Bevollmächtigten) unklar ist oder bloße Vertröstungen darstellt. Je eindeutiger sich der Veranstalter positioniert, desto klarer ist die Entbehrlichkeit. Tatsächlich vermeiden viele Veranstalter die Verweigerung der Abhilfe. Die Verweigerung der Abhilfe ist indes keine Grundlage der Selbstabhilfe, wenn der Veranstalter die Abhilfe berechtigt verweigert, d.h. bei Unmöglichkeit der Abhilfe. In Auseinandersetzungen mit Reiseveranstaltern spielt diese Frage durchaus eine Rolle. Während der Reiseveranstalter Unmöglichkeit behauptet, geht der Reisende davon aus, er könne eine Ersatzleistung über Selbstabhilfe erreichen. Diese Problematik hat mit dem neuen § 651k Abs. 3 S. 1 BGB an Schärfe verloren, da der Reiseveranstalter nunmehr eine Ersatzleistung anbieten muss (siehe Rdn 97 ff.).
Rz. 93
Der Fristsetzung bedarf es auch nicht, wenn sofortige Abhilfe geboten ist. Dies kann der Fall sein, wenn der Reisende etwa ein Taxi nehmen muss, um einen Flug zu erreichen oder bei Ankunft an einem Flughafen nachts nicht länger auf einen Transferbus wartet, sondern eines der letzten Taxis nimmt. Ein weiteres Beispiel ist ein Reisender, der entgegen der Ausschreibung bei Ankunft am späten Abend feststellen muss, dass Mini-Kühlschränke in den Zimmern nicht vorhanden sind, und daraufhin ein Ersatzhotel (als Abhilfe) bucht, da er dringend kühlungsbedürftige Medikamente mitführen muss. Anhaltspunkte bietet insoweit die reichhaltige Rechtsprechung zu § 65...