Prof. Dr. Hans Josef Vogel
Rz. 142
In der Fallbearbeitung muss also der Sachverhalt eruiert werden, der sich tatsächlich dem Reisenden vor Ort darbot. Dies ist letztlich die Ist-Beschaffenheit der Reise. Daneben muss geprüft werden, wie die Soll-Beschaffenheit zu definieren ist.
(1) Beschaffenheitsvereinbarung
Rz. 143
Zunächst ist zu klären, ob eine Beschaffenheit vereinbart wurde. Solche Beschaffenheitsvereinbarungen sind immer Fälle, die nach altem Recht als zugesicherte Eigenschaft einzuordnen waren. Diese kann sich aus konkreten Angaben des Reiseveranstalters ergeben (etwa eine bestimmte Größe eines Zimmers, Anzahl von Restaurants, Beförderungsklasse), die sich neben ausdrücklichen Vereinbarungen (wie etwa verbindliche Sonderwünsche) auch aus den vorvertraglichen Informationen (Art. 250 § 3 EGBGB) und der Reisebestätigung (Art. 250 § 3 Abs. 2 EGBGB) ergeben. Zur Frage der Bedeutung von Erklärungen der Reisevermittler siehe Rdn 183. Nicht jedwede Beschreibung ist auch bereits eine Beschaffenheitsvereinbarung. Oft finden sich Einschränkungen, wie etwa die Angabe einer "typischen" Größe oder der Hinweis, ein Bild zeige ein Einrichtungsbeispiel.
Rz. 144
Fehlt es an einer Beschaffenheitsvereinbarung, sind neben den oben genannten Informationen auch die Reiseausschreibung, der Katalog oder die Website zu Rate zu ziehen. Sie bieten ein dezidiertes Bild des dem Reiseveranstalter obliegenden Pflichtenprogramms. Naturgemäß sind nur diejenigen Aussagen, die jedenfalls einen Tatsachenkern haben, für die Bestimmung der Pflichten des Reiseveranstalters von Bedeutung. Diese müssen indes wahr sein; der Reiseveranstalter kann sich auch nicht darauf zurückziehen, durch versteckte oder unverständliche Hinweise auf Mängel hingewiesen zu haben. Die Beschreibung eines Hotels mit dem Hinweis auf "auditive und visuelle Beeinträchtigungen" ist jedenfalls aus Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden, auf den es ankommt, kein Hinweis auf eine Großbaustelle. Allerdings ist zu beachten, dass der Reiseveranstalter die Haftung für Beeinträchtigungen nicht übernimmt, wenn er entsprechende Hinweise klar erstellt hat, § 651g Abs. 3 S. 1 BGB. Die Hinweise müssen aber klar und deutlich im Prospekt, im Katalog oder auf der Website zum Ausdruck gebracht werden. Eine Einschränkung der Beschaffenheitsvereinbarung ist rechtlich ausgeschlossen. Lediglich die tatsächliche Beschreibung der Umstände vor Ort kann hier zu einer Haftungsmilderung führen, indem eben die Soll-Beschaffenheit klar definiert wird.
(2) Vereinbarter Nutzen der Reise
Rz. 145
Der vereinbarte Nutzen der Reise prägt ebenfalls das Pflichtenprogramm, wenn es keine Beschaffenheitsvereinbarung gab. Die Anforderungen werden sich auch je nach Charakter und Typ der Reise unterscheiden. Für eine Studienreise sind andere Voraussetzungen anzunehmen als für eine einfache Busreise über ein Wochenende. Die Anforderungen an eine Expeditionsreise mit Reiseführer sind andere als die einer reinen Badereise. Hier muss das vertragliche Pflichtenprogramm klar erarbeitet werden.
(3) Gewöhnlicher Nutzen der Reise
Rz. 146
Liegt schließlich auch kein vereinbarter Nutzen vor, so ist auf den üblichen Nutzen der Reise abzustellen, also das, was für die Art der Pauschalreise üblich ist und ein verständiger Durchschnittsreisender bei dieser Art der Pauschalreise erwarten darf. Wenn auch eine günstige Reise keine Mängel haben darf, definiert der Preis auch das Pflichtenprogramm. Wenn der alle drei Tage erfolgende Handtuchwechsel bei einer einfachen Reise in ein 3-Sterne-Hotel vertragsgerecht sein mag, so ist bei einer Luxus-Reise in ein 5-Sterne-Hotel zumindest die Möglichkeit eines täglichen Wechsels vorzusehen.
Rz. 147
Nicht selten kommt es zu Verwechslungen, wenn der Reisende die Informationen eines Reiseveranstalters der Buchung mit einem anderen Veranstalter zugrunde legt. So mag der Reisende selber recherchiert haben oder bei einer Online-Buchung einen anderen Veranstalter als zunächst angesehen ausgewählt haben. Hieraus ergibt sich keine Haftung des in Anspruch genommenen Reiseveranstalters.
(4) Abweichung
Rz. 148
Kommt es zu einer – typischerweise – negativen Abweichung der tatsächlichen von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit, liegt ein reisevertraglicher Mangel vor. Im Einzelfall kann aber auch eine gegenüber der vertraglich vereinbarten Leistung höherwertige Leistung einen Mangel darstellen. Ein Reisender, der sich auf eine einfache, familiäre Unterkunft vorbereitet hat, muss nicht entschädigungslos die Unterbringung in einem Luxus-Hotel dulden.