Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 18
Zwar legt § 116 Abs. 1 SGB X nach seinem Wortlaut nicht ausdrücklich den für den Forderungsübergang maßgeblichen Zeitpunkt fest. Indessen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den Augenblick des schädigenden Ereignisses abzustellen. Der Ersatzanspruch geht daher grundsätzlich – "in aller Regel" – im Zeitpunkt des Schadensereignisses über. Hierdurch soll vermieden werden, dass der Geschädigte, dem die Sozialleistung zugutekommt, den Ersatz anderweitig verwendet. Es handelt sich m.a.W. um einen Anspruchsübergang dem Grunde nach, der den Sozialversicherungsträger vor Verfügungen des Geschädigten schützt.
Rz. 19
Voraussetzung hierfür ist ausweislich der genannten Rechtsprechung, dass eine Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers nach der Art der Verletzungen überhaupt in Betracht kommt. Soweit dabei die tatsächlichen Umstände (Art der Verletzungen, Zukunftsfolgen der Verletzung usw.) von Bedeutung sind, genügt es im Interesse eines möglichst weitgehenden Schutzes des Versicherungsträgers, dass selbst eine – sei es weit entfernte – Möglichkeit des Leistungseintritts ausreicht, um den Forderungsübergang eintreten zu lassen. Die Leistungspflicht des Versicherungsträgers gegenüber dem Verletzten darf also nur nicht völlig unwahrscheinlich, d.h. geradezu ausgeschlossen sein. Es reicht aus, dass die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers hinreichend deutlich erkennbar ist. Die "weit entfernte Möglichkeit" ist zu bejahen, wenn sie den Verletzten selbst berechtigen würde, Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht wegen eines zu erwartenden Zukunftsschadens zu erheben.
Rz. 20
Hinzuweisen ist aber auch auf die Ausnahmefälle: Ein Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger erfolgt nur dann nicht im Zeitpunkt des Schadenseintritts, wenn die Entstehung einer Leistungspflicht völlig unwahrscheinlich, also geradezu ausgeschlossen ist.
Rz. 21
Sind ein Träger der Sozialversicherung und ein Versorgungsträger aufgrund gesetzlicher Anordnung nebeneinander zur Gewährung sich inhaltlich deckender Sozialleistungen an den Geschädigten verpflichtet, geht dessen deliktischer Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger, soweit er jeweils kongruente Leistungen betrifft, gleichzeitig (einerseits nach § 116 SGB X, andererseits nach § 5 OEG, § 81a BVG) im Zeitpunkt der Schädigungshandlung auf beide Sozialleistungsträger über. Voraussetzung ist auch insoweit allein, dass von Anfang an die Möglichkeit von Versorgungsleistungen nach dem OEG bestanden hatte. Erstattet der Versorgungsträger aufgrund der Regelungen des BVG an den Träger der Sozialversicherung die Aufwendungen, die diesem für kongruente Leistungen an den Verletzten entstanden sind, so kann er auf der Grundlage des Übergangs des Schadensersatzanspruchs gegenüber dem Schädiger für die Belastung durch diese Kostenerstattung Regress nehmen.
Rz. 22
Bereits die zu § 1542 RVO a.F. ergangene Rechtsprechung verlangte, dass zwischen dem Geschädigten und dem Sozialversicherungsträger im Augenblick des schädigenden Ereignisses ein Sozialversicherungsverhältnis bestehen musste. Für § 116 Abs. 1 SGB X gilt nichts anderes. Denn nur in einem solchem Fall ist bereits im Augenblick des Schadenseintritts die mögliche Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers für die Beteiligten hinreichend klar überschaubar.
Rz. 23
Ohne Belang ist, ob dem Sozialversicherungsverhältnis eine Pflichtversicherung oder eine freiwillige Versicherung (siehe § 2 SGB IV) zugrunde liegt. Maßgeblich für das Bestehen einer Pflichtversicherung ist deren gesetzliche oder satzungsrechtliche Anordnung. Personen, welche die jeweiligen Voraussetzungen erfüllen (vgl. z.B. § 24 SGB III, § 5 SGB V, § 1 SGB VI, § 2 SGB VII oder § 1 Abs. 2 S. 1 SGB XI), unterliegen kraft gesetzlichen Zwangs (bzw. satzungsrechtlicher Festlegung aufgrund gesetzlicher Bestimmung) der Versicherung, ohne dass es einer Willenserklärung bedarf. Sind die jeweiligen Voraussetzungen gegeben, besteht ein Sozialversicherungsverhältnis, ohne dass es darauf ankommt, ob und inwieweit Beiträge tatsächlich (vom Arbeitgeber, vgl. § 28e SGB IV) entrichtet werden. Ohne Belang im Hinblick auf das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses ist auch, ob im Einzelfall die jeweiligen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Zum Beispiel ändert die Nichterfüllung der gesetzlichen Wartezeit (§§ 50 ff. SGB VI) am Bestand des Sozialversicherungsverhältnisses nichts.
Rz. 24
Während sich daher bei der Versicherungspflicht hinsichtlich der Feststellung eines Sozialversicherungsverhältnisses in der Regel keine Probleme aufwerfen, stellt sich bei einer freiwilligen Versicherung allerdings die Frage, ob das Erlöschen einer zum Unfallzeitpunkt bestehenden freiwilligen Versicherung Einfluss auf den Forderungsübergang hat.
Rz. 25
Die freiwillige Krankenversicherung endet z.B. unter anderem mit dem Wirksamwerden der Kündigung (vgl. im Einzelnen § 191 SGB V). Vergleichbar damit bestimmt § 6 ...