Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 82
In der Kfz-Haftpflichtversicherung sind die in A. I.2. AKB 2015 genannten Personen – namentlich der Fahrer – mitversichert; diese können ihre Versicherungsansprüche selbstständig geltend machen (A. I.2. AKB 2015). Daher liegt versicherungsrechtlich eine Versicherung für fremde Rechnung nach §§ 43 ff. VVG vor (Fremdversicherung). Das Verhalten des Versicherungsnehmers kann daher nicht nur über seinen eigenen Deckungsschutz, sondern möglicherweise auch über den der Mitversicherten entscheiden. Mit anderen Worten kann der Kfz-Haftpflichtversicherer Einwendungen gegenüber dem Versicherungsnehmer auch dem Versicherten gegenüber geltend machen (§ 334 BGB, F.3 AKB 2015). Praktischer Ausgangsfall hierfür ist das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung aufseiten des Kraftfahrzeughalters und die hierdurch eintretende Leistungsfreiheit des Versicherers (z.B. § 28 Abs. 2 VVG, D. AKB 2015).
Rz. 83
Ob der Versicherer diese Einwendung auch gegen den Mitversicherten (z.B. angestellter Fahrer) einwenden kann, war bis zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes nach § 158i VVG a.F. zu beurteilen. Nunmehr richten sich die Rechtsfolgen nach § 123 VVG.
Rz. 84
Nach § 158i VVG in der bis zum 31.12.1990 geltenden Fassung galt die Leistungsfreiheit auch gegenüber dem Mitversicherten. Dagegen blieb der Versicherungsnehmer (hier: Halter) dem Regress seines Versicherers ausgesetzt. Verneint wurde dagegen der Regress des Haftpflichtversicherers, sofern dieser trotz Leistungsfreiheit dem Geschädigten Ersatz zu leisten hatte (§ 158f i.V.m. § 158c Abs. 1 VVG), gegenüber dem Mitversicherten.
Rz. 85
Anders lag es jedoch, wenn der Geschädigte sozialversichert war und deshalb nach § 116 SGB X (§ 1542 RVO a.F.) Ansprüche auf den Sozialversicherungsträger übergegangen waren. Nach § 3 Nr. 6 PflVG a.F. i.V.m. § 158c VVG a.F. haftete der Kfz-Haftpflichtversicherer gegenüber dem Sozialversicherungsträger nicht. Dieser konnte sich daher nur an den Versicherungsnehmer und an den mitversicherten Fahrer halten, die als Gesamtschuldner hafteten. Da die Sozialversicherungsträger im Gegensatz zu den Kfz-Haftpflichtversicherern keinen Regressverzicht hinsichtlich des gutgläubigen Fahrers abgegeben hatten, war dieser in vollem Umfang dem Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers ausgesetzt. Gegenüber dem Sozialversicherungsträger war der Versicherer leistungsfrei (§ 158c Abs. 4 VVG a.F.), sodass § 158i VVG a.F. nicht anwendbar war. Der Fahrer hätte den Regress des Sozialversicherungsträger daher selbst ausgleichen müssen. Er wäre gegenüber dem Regress des Sozialversicherungsträger (§ 116 SGB X) schlechter gestellt als gegenüber dem Direktanspruch.
Rz. 86
Die finanzielle Belastung des Mitversicherten hing folglich davon ab, ob der Geschädigte sozialversichert war. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs verstieß die dadurch gegebene Ungleichbehandlung gegen den mit § 158i VVG a.F. beabsichtigten Schutz des mitversicherten Fahrers. Der Bundesgerichtshof versagte deshalb dem Sozialversicherungsträger im Wege der rechtsfortbildenden Lückenfüllung zunächst den Regressanspruch, wenn der Mitversicherte wegen einer nur vom Versicherungsnehmer verschuldeten Obliegenheitsverletzung den Versicherungsschutz gegenüber dem Haftpflichtversicherer verloren hatte:
Zitat
"Ein Sozialversicherungsträger, der ein bei ihm versichertes Unfallopfer entschädigt hat, aber gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer nach den § 3 Nr. 6 PflVG, § 158c Abs. 4 VVG keinen Anspruch auf Schadensersatz hat (krankes Versicherungsverhältnis), kann wegen seines Anspruchs aus § 1542 RVO gegen den am Unfall beteiligten, mitversicherten Fahrer unter den Voraussetzungen des § 158i VVG keinen Rückgriff nehmen."
Rz. 87
Dieses Ergebnis hat der Bundesgerichtshof in einer späteren Entscheidung unter Hinweis auf die Ablösung des § 1542 RVO a.F. durch § 116 SGB X nicht mehr aufrechterhalten. Der Bundesgerichtshof hat sich darauf gestützt, dass nach dem aus § 116 SGB X ersichtlichen Willen des Gesetzgebers in Fällen der vorliegenden Art eine Beschränkung des Rückgriffsrechts des Sozialversicherungsträgers nicht in jedem Fall, sondern nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 HGrG vom 19.8.1969 oder des § 76 Abs. 2 SGB IV stattfinden soll. Diese Entscheidung des Gesetzgebers müsse respektiert werden. Es handele sich im Blick auf die Gesetzesmaterialien um eine authentische Interpretation des geltenden Rechts durch den Gesetzgeber. Dabei sei davon auszugehen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 HGrG oder des § 76 Abs. 2 SGB IV der Sozialversicherungsträger nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, den Regress entsprechend zu beschränken.
Rz. 88
Daher hatte der Sozialversicherungsträger bei dem sozialversicherten Geschädigten die Möglichkeit der Regressierung beim Schädiger. Eine Korrektur der damit gegenüber der Fallkonstellation des nicht sozialversicherten Geschädigten gegebenen Ungleichbehandlung war unter anderem nach § 76 SGB IV im Weg...