Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 95
Bei Obliegenheitsverletzungen vor dem Unfall ist der Haftpflichtversicherer gegenüber seinem Versicherten von der Verpflichtung zur Leistung frei (§ 28 VVG, D. AKB 2015). Gegenüber dem geschädigten Dritten bleibt er aber leistungspflichtig (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 117 Abs. 1 VVG). Er kann dann bei dem Versicherten – im Innenverhältnis – Regress nehmen (§ 117 VVG, § 3 Nr. 9 PflVG a.F., § 426 Abs. 2 BGB).
Rz. 96
Diesen Innenregress haben die Haftpflichtversicherer durch geschäftsplanmäßige Erklärung 1973 auf den Betrag von 5.000 DM beschränkt.
Rz. 97
Der dem vollen Regress des Sozialversicherungsträgers ausgesetzte und durch den Haftpflichtversicherer nicht abgedeckte Schädiger verdiente nach Auffassung des Bundesgerichtshof den gleichen Schutz (Verhinderung der Sozialhilfebedürftigkeit) wie im Falle des sog. Fahrerprivilegs (§ 123 VVG a.F.; dazu Rdn 82 ff.). In seiner Entscheidung vom 27.5.1981 wertete er die geschäftsplanmäßige Erklärung der Haftpflichtversicherer (Begrenzung des Innenregresses auf 5.000 DM) zunächst als auch für den Sozialversicherungsträger verbindlich. Der Regress des Sozialversicherungsträgers war daher ebenfalls auf diesen Betrag begrenzt.
Rz. 98
Mit der weiteren Entscheidung vom 5.10.1983 hat der Bundesgerichtshof indessen den uneingeschränkten Regress des Sozialversicherungsträgers wieder zugelassen, allerdings mit dem Hinweis, dass unbillige Härten über Niederschlagung und Erlass nach § 76 SGB IV auszugleichen seien. Dies hat auch Geltung für Fälle vor Inkrafttreten des § 116 SGB X.
Rz. 99
Wie vorstehend dargelegt kann der Schädiger bei unbilliger Härte gegenüber dem Regress nehmenden Sozialversicherungsträger nach § 76 SGB IV Niederschlagung oder Erlass verlangen (siehe bereits Rdn 94 a.E.).
Rz. 100
Die nach § 76 SGB IV getroffene Entscheidung des Sozialversicherungsträgers unterliegt der sozialgerichtlichen Nachprüfung. Eine etwaige Stundung oder ein vollständiger oder teilweiser Erlass der Regressforderung wegen unbilliger Härte setzen einen Verwaltungsakt des Sozialversicherungsträgers voraus. Die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit steht nicht den ordentlichen Gerichten zu, weil es sich nicht um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 13 GVG handelt, sondern um eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur. Denn eine etwaige Beschränkung des Rückgriffsanspruchs ergibt sich erst aus den haushaltsrechtlichen und damit öffentlich-rechtlichen Regelungen in § 76 Abs. 2 SGB IV und § 31 Abs. 2 HGrG.
Rz. 101
Hat der Sozialversicherungsträger den nach § 116 SGB X übergegangenen Anspruch gerichtlich geltend gemacht, braucht das angerufene ordentliche Gericht das Verfahren nicht auszusetzen, wenn gleichzeitig das Sozialgericht mit der Prüfung der Voraussetzungen des § 76 SGB IV befasst ist. Hierzu besteht auch kein Anlass, denn die Feststellung der Begründetheit des übergegangenen Anspruchs ist Voraussetzung für die Prüfung des § 76 SGB IV. Zu erwägen bliebe allein, ob die Aussetzung des zu § 76 SGB IV geführten sozialgerichtlichen Verfahrens in Betracht zu ziehen ist.
Rz. 102
Bevor über den Erlass nach § 76 SGB IV entschieden ist, hat es der Sozialversicherungsträger zu unterlassen, die zwischenzeitlich rechtskräftige Regressentscheidung zu vollstrecken, andernfalls bleibt dem Schuldner die Möglichkeit der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO).