Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 227
Der Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II nach § 19 SGB II begründet ebenfalls einen Erwerbsschaden. Der Anspruch ist ab 1.1.2005 nach dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 gegeben. Die damit erfolgte Einführung eines Anspruchs auf "Arbeitslosengeld II" (§ 19 SGB II) hatte gleichzeitig den Wegfall der früheren Arbeitslosenhilfe zur Folge.
Rz. 228
Problematisch im Zusammenhang mit dem Anspruch aus § 19 SGB II ist die Nähe zur Sozialhilfe. Gegenüber dem früheren Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bestehen erhebliche Unterschiede. Das SGB II setzt für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II zwar wie bei der Arbeitslosenhilfe Bedürftigkeit des Betroffenen voraus. Anders als bei der Arbeitslosenhilfe sind indessen Arbeitslosigkeit und die vorausgegangene sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr Anspruchsvoraussetzung. Zudem fällt auch der erwerbsfähige Arbeitslose, der nach früherem Recht nicht Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezog, sondern nur Sozialhilfe, nunmehr unter die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Angemerkt sei, dass lediglich der nicht erwerbsfähige Arbeitslose keine Ansprüche nach dem SGB II erhält; seine Ansprüche zielen vielmehr auf Sozialhilfe, deren Anspruchsvoraussetzungen sich nach dem SGB XII richten.
Rz. 229
Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber im Unterschied zur früheren Sozialhilfe nach dem BSHG und der Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III (bzw. dem AFG a.F.)
Zitat
"ein völlig neues Leistungssystem geschaffen (hat), das Elemente der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe in sich vereint und deshalb als spezielles Fürsorgesystem für Erwerbsfähige ohne oder ohne ausreichende Erwerbsarbeit zu qualifizieren ist. […] Auch sieht das Sozialgesetzbuch II den Leistungsberechtigten von Arbeitslosengeld II nicht – wie dies früher für den Empfänger von Arbeitslosenhilfe galt – als in den Arbeitsmarkt eingegliedert an. Die Arbeitslosigkeit und die vorausgegangene sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind anders als im Fall der Arbeitslosenhilfe nicht mehr Voraussetzungen der Leistung. Auch wer als Erwerbsfähiger nach früherem Recht nicht Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezog, sondern nur Sozialhilfe, fällt nunmehr unter die Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß dem Sozialgesetzbuch II."
Rz. 230
Nach eingehender Befassung mit den vorstehenden Erwägungen gelangt der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25.6.2013 zu dem Ergebnis, dass ein Erwerbsschaden vorliege, falls ein hilfebedürftiger Erwerbsfähiger verletzungsbedingt seinen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II verliert. Von ausschlaggebender Bedeutung ist ausweislich der Entscheidungsgründe, dass der Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II nicht schon durch die bloße Tatsache der Hilfebedürftigkeit entsteht, wie dies bei der Sozialhilfe der Fall ist. Vielmehr muss der Betroffene erwerbsfähig sein und für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen (vgl. i.E. § 7 SGB II). Dass das Arbeitslosengeld II sich im Unterschied zur Arbeitslosenhilfe nicht an der Höhe des gewöhnlich erzielten Arbeitsentgelts orientiert und daher keine Lohnersatzfunktion hat, steht der Annahme eines Erwerbsschadens nicht entgegen. Die Lohnersatzfunktion einer Sozialleistung kann zwar dafür sprechen, dass mit ihrem Verlust ein Erwerbsschaden eintritt. Sie ist aber keine notwendige Bedingung für die Annahme eines Erwerbsschadens. Entscheidend ist vielmehr, dass das SGB II die Leistungsberechtigung von der Erwerbsfähigkeit abhängig macht und dem Leistungsbezieher ein Vermögensnachteil entsteht, wenn er infolge des verletzungsbedingten Wegfalls seiner Erwerbsfähigkeit seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II verliert.