Rz. 2

Nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X geht ein auf gesetzlichen Vorschriften (z.B. § 823 BGB, § 7 StVG) beruhender Schadensersatzanspruch eines Versicherten auf den Träger der Sozialversicherung insoweit über, als dieser nach den für ihn geltenden Leistungsgesetzen Leistungen zu gewähren hat.

 

Rz. 3

Die Vorschrift knüpft an § 1542 RVO a.F. an, der seinerseits Schadensfälle erfasste, die sich vor dem 1.7.1983 ereignet hatten und der im Wesentlichen bestimmte:

Zitat

"Soweit die nach diesem Gesetz Versicherten oder ihre Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften Ersatz eines Schadens beanspruchen können, der ihnen durch Krankheit, Unfall, Invalidität oder durch den Tod des Ernährers erwachsen ist, geht der Anspruch auf die Träger der Versicherung insoweit über, als sie den Entschädigungsberechtigten nach diesem Gesetze Leistungen zu gewähren haben."

§ 116 SGB X ist als Ergebnis einer Reform jener Vorschrift anzusehen, die streng genommen eine Blankettvorschrift zugunsten des Sozialversicherungsträgers war und sich ohne nähere inhaltliche Differenzierung auf die Anordnung des Forderungsübergangs beschränkte. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift im Blick auf § 1542 SGB X a.F. verabschiedet, ohne eine Beschränkung des Rückgriffsrechts des Sozialversicherungsträgers zu normieren.[1]

 

Rz. 4

§ 116 Abs. 1 SGB X ist keine Anspruchsgrundlage. Die Vorschrift regelt vielmehr den Übergang eines auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhenden Anspruchs auf Schadensersatz auf den Träger der gesetzlichen Sozialversicherung.[2]

 

Rz. 5

§ 116 SGB X ist aufgrund des Gesetzes vom 4.11.1982[3] mit Wirkung vom 1.7.1983 in Kraft getreten. Art. 5 Abs. 2 Nr. 1, 85 Abs. 1 RRG 1992 vom 18.12.1989[4] führte mit Wirkung ab 1.1.1992 zur Einfügung von Abs. 1 S. 2, wonach auch die Sozialversicherungsbeiträge, die vom Sozialversicherungsträger zu zahlen sind, dem Regress nach § 116 SGB X unterliegen.[5] Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen zum Beitragsregress (Rdn 141 ff.) verwiesen. Ihre bislang letzte Änderung erfuhr die Vorschrift nach Art. 32 Nr. 3 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20.11.2015.[6]

 

Rz. 6

Die Neuregelung enthält hinsichtlich der für den Anspruchsübergang erforderlichen Kongruenz eine Klarstellung. Anders als § 1542 RVO a.F. verlangt § 116 SGB X ausdrücklich das Bestehen einer zeitlichen und sachlichen Kongruenz von Schaden und Leistung.[7] Blieb im Rahmen der Vorgängerregelung namentlich die inhaltliche Ausgestaltung des Forderungsübergangs offen und oblag damit der Rechtsprechung diese Aufgabe, ist mit § 116 Abs. 19 SGB X die zwischenzeitlich zu § 1542 RVO a.F. ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung weitgehend festgeschrieben. So hat der Gesetzgeber z.B. die höchstrichterliche Rechtsprechung zur zeitlichen und sachlichen Kongruenz (Identität des Leistungszwecks) in § 116 Abs. 1 SGB X kodifiziert. Hiernach können nur solche Schadensersatzansprüche des Versicherten auf den Sozialversicherungsträger übergehen, die zum Ausgleich desselben Schadens bestimmt sind wie die Leistungen des Sozialversicherungsträgers. Hieraus folgt z.B., dass der Schmerzensgeldanspruch (§ 253 Abs. 2 BGB) nicht übergangsfähig ist, weil die Sozialversicherungsträger keine deckenden Leistungen hierzu erbringen (Rdn 157, zur Kongruenz Rdn 197 ff.). Das Gleiche gilt in der Regel für den Ausgleich des Sachschadens (Ausnahme: § 2 Abs. 1 Nr. 13a und c).[8]

 

Rz. 7

Übernommen hat der Gesetzgeber auch die Rechtsprechung zum Ausschluss des Forderungsübergangs bei Schädigungen unter Familienangehörigen, das in § 116 Abs. 6 SGB X verankerte sog. Familienprivileg.[9] Zu den Einzelheiten des Übergangs Rdn 44 ff. und Rdn 301 ff. Weil der Gesetzgeber die Rechtsprechung zu § 1542 RVO a.F. mit § 116 SGB X weitgehend kodifiziert hat, ist die dazu ergangene Rechtsprechung auch auf die Nachfolgeregelung grundsätzlich anzuwenden.

 

Rz. 8

Anlass zur Reform des § 1542 RVO a.F. war auch das sog. Quotenvorrecht zugunsten des Sozialversicherungsträgers, wonach dieser bei mitwirkender Verantwortlichkeit des geschädigten Versicherten und fehlender Schadensdeckung durch die Sozialversicherungsleistungen den Schaden bis zur Höhe seiner Leistungen zum Nachteil des Versicherten voll ausschöpfen konnte. Der Bundesgerichtshof vertrat trotz eigener Bedenken diese Regelung.[10] In § 116 SGB X wurde das Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers entgegen der bisherigen Rechtsprechung nicht übernommen, sondern eine andere – sicher gerechtere – Lösung des Problems kodifiziert (§ 116 Abs. 3 SGB X; dazu Rdn 270 ff.).

 

Rz. 9

§§ 116 bis 119 SGB X sind nur auf Schadensfälle anzuwenden, die sich nach dem 30.6.1983 ereignet haben.[11] Für Fälle, die sich vor dem 1.7.1983 ereignet haben, gilt § 1542 RVO a.F. weiter. Insoweit besteht keine Anwendung des neuen Rechts im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung.[12] Im Hinblick auf den Zeitablauf seit Inkrafttreten des § 116 SGB X dürften Altfälle, die sich nach § 1542 RVO a.F. beurteilen, zwischenzeitlich weitgehend ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge