Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 270
Mitwirkendes Verschulden (z.B. § 254 BGB, § 9 StVG, § 4 HPflG, § 34 LuftVG) oder mitwirkende Verantwortlichkeit (z.B. § 17 StVG, § 13 HPflG) bei der Entstehung des Schadens sind Minderungsgründe für den Ersatzanspruch. Ist der Schadensersatzanspruch wegen Mitverschuldens oder Mitverantwortung begrenzt, konkurrieren die Ansprüche des Verletzten und des Sozialversicherungsträgers, sofern die Sozialleistung den Schaden nicht voll abdeckt. § 116 Abs. 3 S. 1 SGB X ordnet den Gleichrang der Beteiligten an. Geschädigter und Sozialversicherungsträger erhalten dann den der Haftungsquote entsprechenden Anteil, sog. relative Theorie, die in Rechtsprechung und Schrifttum einhellig vertreten wird. § 116 Abs. 3 S. 1 SGB X, wonach der quotierte Schadensersatzanspruch bei Vorliegen eines Restschadens aufseiten des Verletzten gleichrangig zwischen Sozialversicherungsträger und Geschädigtem verteilt wird, ist für Fälle ab 1.7.1983 anzuwenden.
Rz. 271
Für die zeitlich davor liegenden Fälle galt § 1542 RVO a.F. Hiernach ging der quotierte Ersatzanspruch bis zur Höhe der Leistung des Sozialversicherungsträgers auf diesen über; eine Folge, die sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ergab und als Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers bezeichnet wurde (sog. absolute Theorie).
Nach § 76 BBG (§ 40 Rdn 1 ff.), § 6 Abs. 1 EFZG, § 86 Abs. 1 VVG geht dagegen nur der Teil des quotierten Schadens auf den Sozialversicherungsträger über, den der Geschädigte nicht benötigt, um die Differenz zwischen seinem Schaden und der Leistung des Dritten auszugleichen (Quotenvorrecht des Geschädigten, "Differenztheorie").
Rz. 272
Die Anwendung der relativen Theorie in der Praxis ist einfacher, als die gesetzliche Konzeption auf den ersten Blick vermuten lässt.
Der Sozialversicherungsträger könnte bei voller Haftung des Schädigers seine Leistung, soweit sie übergangsfähig ist, voll geltend machen. Im Falle einer Teilhaftung kann er die Quote aus seiner übergangsfähigen Leistung regressieren, während der Verletzte die Quote aus seinem Restschaden (Schaden abzgl. Sozialversicherungsleistung) erhält.
Zum gleichen Ergebnis führt folgende Formel:
Rz. 273
Für Sozialversicherungsträger:
Schadensersatz x Sozialversicherungsträger-Leistung : Gesamtschaden
Für Verletzten:
Schadensersatz x Differenz zwischen Sozialversicherungsträger-Leistung und Gesamtschaden: Gesamtschaden
Rz. 274
Rechenbeispiel zu § 116 Abs. 3:
Monatlicher Gesamtschaden |
1.000 EUR |
Monatliche Sozialversicherungsträger-Rente |
600 EUR |
Mitverschulden des Verletzten |
40 % |
Anspruch des Verletzten |
60 % |
Schadensersatzanspruch |
600 EUR |
Verletzter erhält Quote |
= 240 EUR |
aus dem Restschaden |
|
(1.000 EUR – 600 EUR, hiervon 60 %) |
|
Sozialversicherungsträger erhält Quote (60 v.H.) aus seiner |
|
Leistung (600 EUR) |
= 360 EUR |
|
600 EUR |
oder Mithaftung des Verletzten von |
|
60 %; Anspruch 40 % |
= 400 EUR |
Verbleibt ein Restschaden von |
|
(ebenfalls) |
400 EUR |
Verletzter erhält hiervon 40 % |
= 160 EUR |
Sozialversicherungsträger erhält 40 % seiner Leistung |
= 240 EUR |
|
= 400 EUR |
Rz. 275
Der mit § 116 Abs. 3 SGB X verbundene Zweck eines anteiligen und gerechten Schadensausgleichs erscheint indessen nicht gewährleistet, soweit es um Fälle geht, in denen auf Witwer- und Witwenrenten eigene Einkommen (§§ 18a ff. SGB IV) zur Anrechnung kommen (z.B. § 97 SGB VI, § 65 Abs. 3 SGB VII). Die Anrechnung von Einkommen führt nicht nur zu einer Rentenkürzung, sondern bei der Schadensabwicklung zu einer Schlechterstellung gegenüber den Fällen, in denen eine Einkommensanrechnung nicht erfolgt.
Rz. 276
Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:
1. Unterhaltsschaden |
1.000 EUR |
Witwenrente |
400 EUR |
Mitverschulden |
50 % |
Unterhaltsschaden |
500 EUR |
Restschaden (1.000 – 400 EUR) |
600 EUR |
Witwe hiervon 50 % |
300 EUR |
Sozialversicherungsträger 50 % der Leistung |
200 EUR |
Die Witwe erhält auf ihren Unterhaltsschaden 700 EUR (Sozialversicherungsträger-Rente + Schadensanteil).
2. Unterhaltsschaden |
1.000 EUR |
Witwenrente (Anrechnung eigenen Einkommens) |
200 EUR |
Mitverschulden |
50 % |
Unterhaltsschaden |
500 EUR |
Restschaden (1.000 – 200 EUR) |
800 EUR |
Witwe hiervon 50 % |
400 EUR |
Sozialversicherungsträger 50 % der Leistung |
100 EUR |
Die Witwe erhält auf ihren Unterhaltsschaden 600 EUR (Sozialversicherungsträger-Rente + Schadensanteil).
Rz. 277
Die Witwe erleidet demnach durch die Anrechnung ihres Einkommens einen doppelten Nachteil: Zum einen erhält sie eine geringere Rente; zum anderen erfolgt bei gleichem Unterhaltsschaden eine niedrigere Abdeckung. Darin liegt indessen kein Problem des Schadensersatzes, sondern vielmehr der gerechten Verteilung des Schadens. Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung hierzu noch keine Lösung gefunden. Daran zu denken wäre, dass in Höhe der "Minderdeckung" der Regress des Sozialversicherungsträgers zugunsten des Verletzten zurückzutreten hätte. Wie dies praktikabel (doppelte Verteilungsberechnung) gestaltet werden kann, ist indessen eine andere Frage.
Rz. 278
Schwieriger wird es, wenn neben der Höchsthaftungssumme (Rdn 2...