Prof. Dr. Günther Schneider
1. Haftungsausschluss nach §§ 104 und 105 SGB VII
Rz. 68
Ein Schadensersatzanspruch kann als solcher wegen Eingreifens des Haftungsprivilegs nach den §§ 104, 105 SGB VII (dazu § 38 Rdn 1 ff.) von vornherein nicht übergehen. Dies war zwar bereits in § 1542 Abs. 1 S. 2 RVO a.F. ausdrücklich normiert, nicht hingegen in § 116 SGB X. Nunmehr legt § 104 Abs. 1 S. 2 SGB VII ausdrücklich fest, dass ein Forderungsübergang nach § 116 SGB X nicht stattfindet. Bei Vorsatz oder im Falle der Herbeiführung des Unfalls auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg ("Wegeunfall"; nach früherem Recht "Teilnahme am allgemeinen Verkehr", vgl. § 636 RVO a.F.) vermindern sich die verbleibenden Ersatzansprüche um die Leistungen, die Berechtigte vom Sozialversicherungsträger infolge des Versicherungsfalls erhalten (vgl. § 104 Abs. 3 SGB VII; ferner § 636 Abs. 1 S. 2 RVO a.F.). Insoweit kommt es zum Forderungsübergang in dieser Höhe nicht. Die Leistungen des Sozialversicherungsträger vermindern daher die Schadensersatzansprüche des Verletzten. Allerdings bleibt auf die nach § 110 SGB X gegebene originäre Haftung des Schädigers gegenüber dem Sozialversicherungsträger hinzuweisen (§ 38 Rdn 282 ff.).
2. Ausschluss wegen des sog. Familienprivilegs – Haushaltsangehörigenprivileg
Rz. 69
Familienangehörige bilden in der Regel eine wirtschaftliche Einheit, die neben dem Familienfrieden erheblich gestört wäre, wenn Ersatzansprüche untereinander geltend gemacht würden, insbesondere wenn die Angehörigen in häuslicher Gemeinschaft leben. § 67 Abs. 2 VVG a.F. sah deshalb den Ausschluss des Übergangs eines Schadensersatzanspruchs auf den privaten Versicherungsträger vor, wenn der Schädiger nicht vorsätzlich gehandelt hatte und Schädiger und Geschädigter Familienangehörige waren und in häuslicher Gemeinschaft lebten. Neben dieser auf den Familienfrieden abstellenden Erwägung war aber auch die weitere Erwägung maßgeblich, dass – unter der Voranstellung der vermögensrechtlichen Wechselwirkungen zwischen Familienangehörigen – bei der Durchführung des Rückgriffs der Versicherte das, was er mit der einen Hand erhalten hat, nicht mit der anderen wieder herausgeben muss.
Rz. 70
Nach der Neufassung des Versicherungsvertragsrechts zum 1.1.2008 ist das bis dahin in § 67 VVG a.F. geregelte Haftungsprivileg dahin geändert, dass der Ersatzanspruch, den der geschädigte Versicherungsnehmer gegen einen Dritten hat, zwar stets auf den Versicherer übergeht, soweit dieser den Schaden ersetzt (§ 86 Abs. 1 VVG). Indessen kann der Übergang nicht geltend gemacht werden, wenn sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person richtet, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht (§ 86 Abs. 3 VVG). Die Gesetzesreform hat das Familienangehörigenprivileg daher zu einem Haushaltsangehörigenprivileg gewandelt. Nach der im Gesetzgebungsverfahren abgegebenen Begründung werde die Beschränkung des Regressausschlusses auf in häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige den heutigen Verhältnissen nicht mehr gerecht. Vielmehr seien die für die Sonderregelung maßgeblichen Gesichtspunkte auf all diejenigen Personen zu erstrecken, die in einer häuslichen Gemeinschaft miteinander lebten.
Rz. 71
Mithin hat die mit der Versicherungsvertragsreform verbundene Neufassung des § 86 Abs. 3 VVG (§ 67 Abs. 2 VVG a.F.) an dem in Rdn 69 dargelegten Rechtsgedanken dem Grunde nach nichts geändert, sondern diesen im Sinne eines Haushaltsangehörigenprivilegs erstreckt.
Rz. 72
Anknüpfend an die vorstehenden Erwägungen normiert § 116 Abs. 6 SGB X bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige, die mit den Geschädigten bzw. seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft leben, den grundsätzlichen Ausschluss des gesetzlichen Forderungsübergangs. Zu den Einzelheiten vgl. Rdn 301 ff.
Rz. 73
Bereits im Geltungsbereich des § 1542 RVO a.F., dem eine nunmehr mit § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X vergleichbare Regelung fehlte, hatte der Bundesgerichtshof § 67 Abs. 2 VVG a.F. für analog anwendbar erklärt. Dies hatte zur Folge, dass auch bei Schadensfällen, die sich vor dem 30.6.1983 ereignet hatten, das Familienprivileg als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens auch bei Anwendung von § 1542 RVO a.F. galt: Der Forderungsübergang bei Schädigungen unter Familienangehörigen, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Versicherten lebten, war mithin durch den Schutzzweck der Versicherungsleistung in der Art des § 67 Abs. 2 VVG a.F. ausgeschlossen; dieser Ausschluss galt für alle Zweige der Sozialversicherung. Dies kann nach der Neuregelung des Versicherungsvertragsrechts nicht mehr angenommen werden. Angesichts des klaren Wortlauts des § 116 Abs. 6 SGB X und der Tatsache, dass die Ausgestaltung der Wirkungen des Familienprivilegs zwischenzeitlich nur im Versicherungsvertragsrecht, nicht aber im Sozialversicherungsrecht eine Änderung erfahren hat, ist eine Übertragung des diesbezüglichen Regelungsinhalts des § 86 Abs. 3 VVG (§ 67 Abs. 2 VVG a.F.) auf § 116 Abs. 6 SGB X im Wege der Auslegung ode...