Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 33
Eine Bindung besteht nicht, wenn es nach Anerkennung eines Arbeitsunfalls durch den Sozialversicherungsträger nur noch um die Frage geht, ob der in Anspruch genommene Schädiger wegen des Vorliegens einer gemeinsamen Betriebsstätte haftungsprivilegiert ist, oder wenn das Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte zu verneinen ist.
Rz. 34
Die Bindung der Gerichte erstreckt sich auch nicht auf die Frage, inwieweit zivilrechtliche Ansprüche des Verletzten gegen den Schädiger bestehen. Die Beurteilung des Bestehens einer Bindung kann immer nur die Frage zum Inhalt haben, inwieweit im Rahmen des jeweiligen Sozialrechtsverhältnisses, z.B. nach dem SGB VII, eine Leistungspflicht besteht. Das zivilrechtliche Verhältnis zwischen Verletztem und Schädiger wird hiervon nicht berührt.
Rz. 35
Darüber hinaus erfasst die Bindung nicht die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung der Versicherungsträger.
Rz. 36
Die Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden von der Bindung erfasst wird, bedarf näherer Betrachtung:
Hat die Berufsgenossenschaft einen Arbeitsunfall bejaht und erbringt sie Leistungen, muss von ihr zuvor der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit (gesetzlicher Schutzbereich) und dem Unfallereignis in zweifacher Weise geprüft sein. Es muss zum einen mit dem gesetzlichen Schutzbereich verknüpft sein (haftungsbegründende Kausalität); zum anderen muss es ursächlich einen Körperschaden/eine Gesundheitsstörung bewirken (haftungsausfüllende Kausalität). Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität beurteilen sich nach der von der Rechtsprechung entwickelten Theorie der wesentlichen Bedingung (dazu § 38 Rdn 165 ff.).
Rz. 37
Die von der Berufsgenossenschaft oder dem Sozialgericht getroffene Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs wird von der Bindung umfasst. Dies ergibt sich sowohl aus § 118 SGB X als auch aus § 108 SGB VII. Hiernach sind die Gerichte unter anderem an die Entscheidung gebunden, in welchem Umfang die Entschädigung zu gewähren ist. Gerade aber der Umfang der Leistungen hängt entscheidend vom ursächlichen Zusammenhang ab.
Rz. 38
Keine Bindung besteht dagegen für den Fall, dass der Schädiger die zivilrechtliche Kausalität zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden bestreitet. So kann der Schädiger, der von einem Versicherungsträger in Anspruch genommen wird, die Entstehung eines Schadens des Verletzten im Gegensatz zu der Entscheidung des Versicherungsträgers bestreiten. Die Bindungswirkung erfasst mithin nicht die zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen wie die Kausalität zwischen der Schädigungshandlung und dem eingetretenen Schaden. Allerdings: Sie erfasst aber nur den bürgerlich-rechtlichen Anspruch des Verletzten, niemals jedoch die Höhe der Aufwendungen des Versicherungsträgers; für diese gilt die Bindung der §§ 108 SGB VII, 118 SGB X.
Rz. 39
Wohl aber kann der Schädiger aus medizinischen Gründen den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Erkrankung des Verletzten bestreiten, obwohl die Versicherungsbehörden diesen Zusammenhang bejaht und daraufhin eine Rente bewilligt haben. Dies hat zwar nicht die Folge, dass ein etwaiger Anspruch des Verletzten nicht mehr gemäß § 116 SGB X auf den Versicherungsträger überginge; wohl aber entfällt eine Zahlungspflicht des Schädigers, wenn mangels Schadensersatzanspruchs im Sinne des bürgerlichen Rechts keinerlei Forderung vorhanden ist, die auf den Versicherungsträger hätte übergehen können.
Rz. 40
Die Bindung ergreift niemals die Frage, ob eine bestimmte Person in demselben Betrieb tätig ist und infolgedessen den Haftungsausschluss als Arbeitskollege in Anspruch nehmen kann (§ 105 SGB VII). Darüber entscheidet vielmehr ausschließlich das ordentliche Gericht. Dies gilt auch, wenn die Frage in einem Rückgriffsprozess gegen den verantwortlichen Betriebsangehörigen nach § 110 SGB VII streitig wird.
Rz. 41
Die im Rahmen des Verfahrens nach § 710 RVO a.F. (nunmehr § 209 SGB VII) ergangene Entscheidung der Berufsgenossenschaft über das Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit des Rückgriffspflichtigen bindet die Gerichte im Rahmen eines Prozesses aus § 640 RVO a.F. nicht.