Rz. 102
Achtung
Ob das Vorhandensein oder das Fehlen von Trunkenheitssymptomen ein taugliches Beweismittel für oder gegen den vom Angeklagten behaupteten Nachtrunk sein kann, ist fraglich, denn dies wird in der rechtsmedizinischen Literatur kontrovers beurteilt (OLG Karlsruhe DAR 2005, 104).
a) Berechnung
Rz. 103
Um auf den für den Tatzeitpunkt maßgeblichen Wert zu kommen, muss der auf einen Nachtrunk entfallende Anteil von dem durch die Blutprobe ermittelten Wert abgezogen werden. Die Berechnung des Nachtrunkes kann nach der Widmark’schen Formel vorgenommen werden (OLG Köln VRS 67, 460).
Rz. 104
Achtung: Urteilsfeststellungen
Unterstellt das Gericht einen Nachtrunk, ist es verpflichtet, bei der Berechnung der BAK Feststellungen zur Alkoholmenge, zum Körpergewicht im Tatzeitpunkt sowie eine Bestimmung des Reduktionsfaktors zu treffen (OLG Köln DAR 2001, 230).
b) Mit niedrigsten Werten
Rz. 105
Bei der Berechnung sind die dem Täter jeweils günstigsten Werte zugrunde zu legen, d.h. ohne Sicherheitszuschlag ein stündlicher Abbauwert von 0,1 ‰ sowie das geringstmögliche Resorptionsdefizit, was dann zur Folge hat, dass als Nachtrunk der höchstmögliche Anteil zugrunde gelegt werden muss (OLG Braunschweig NZV 2014, 478).
c) Zweite Blutprobe
Rz. 106
Behauptet der Betroffene einen Nachtrunk oder besteht ein entsprechender Verdacht, wird regelmäßig eine zweite Blutprobe entnommen. Damit soll eine unwahre Nachtrunkbehauptung mit der Überlegung widerlegt werden, dass die zweite Blutprobe einen höheren Wert als die erste ergeben müsste, falls der Betroffene tatsächlich nachgetrunken hatte. Das führt dazu, dass die meisten Richter die Nachtrunkbehauptung alleine schon dadurch als widerlegt ansehen, dass der zweite Wert nicht höher als der erste ist.
Rz. 107
In dieser Allgemeinheit ist dies aber deshalb nicht richtig, weil dieser Schluss nur gezogen werden kann, wenn unverzichtbare Bedingungen eingehalten sind. Die unterschiedliche Höhe der beiden Blutprobenergebnisse ist allenfalls dann aussagekräftig, wenn zwischen der Entnahme der beiden Blutproben mindestens 30 Minuten Zeitdifferenz liegen.
Rz. 108
Zu einem unzutreffenden Schluss führt der Vergleich zwischen den beiden Werten auch dann, wenn die Resorptionsphase des Nachtrunks bereits abgeschlossen war, d.h. der Nachtrunk bereits längere Zeit zurücklag.
Rz. 109
Achtung: Geringe Differenz
Im Falle einer geringen Differenz zwischen den beiden Blutprobenergebnissen kann ebenso wenig zurückgerechnet werden, wie wenn zwischen beiden Entnahmen lediglich ein kurzer Zeitabstand von z.B. 15 Minuten liegt (OLG Karlsruhe BA 1997, 85).
d) Begleitstoffanalyse
Rz. 110
Des Öfteren versuchen Beschuldigte mit der Behauptung, hochprozentige Getränke zu sich genommen zu haben, plausibel zu machen, wie in der kurzen, zu einem Nachtrunk verbliebenen Zeit der festgestellte hohe Alkoholwert zustande gekommen sein soll. Eine solche Schutzbehauptung kann die Rechtsmedizin meist bereits mit einer Begleitstoffanalyse widerlegen. Sie ist nämlich in der Lage, die in den verschiedenen alkoholischen Getränken vorhandenen unterschiedlichen Begleitstoffe zu analysieren, so dass festgestellt werden kann, welche Getränke der Beschuldigte zu sich genommen hat und welche nicht.
Rz. 111
Achtung
Es gibt aber hochprozentige Getränke, die keinen Begleitstoff haben, wie z.B. Wodka. Deshalb kann eine auf Wodka gestützte Nachtrunkbehauptung nicht ohne Weiteres mit einer Begleitstoffanalyse widerlegt werden. Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn der Betroffene Getränke als Nachtrunk angibt, die er vor der Tat tatsächlich getrunken hatte. Allerdings wird immer dann, wenn der Beschuldigte relativ kurzzeitig nach der Tat gestellt wird, mit einer solchen Nachtrunkangabe die Höhe des festgestellten Alkoholwertes wohl kaum plausibel zu machen sein. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Rechtsmedizin zwischenzeitlich in der Lage ist, über die Messung des Alkoholstoffwechselproduktes Ethylglucuronid, das wesentlich später abgebaut wird als Alkohol, entweder die Trinkmenge oder den Zeitpunkt der Alkoholaufnahme einzugrenzen.
e) Unerheblicher Nachtrunk
Rz. 112
In den meisten Fällen wird eine in Relation zum festgestellten Blutalkoholwert so geringe Nachtrunkmenge angegeben, dass der Sachverständige für den Tatzeitpunkt auch dann noch zur absoluten Fahruntüchtigkeit kommt, wenn er die Nachtrunkangabe als richtig unterstellt. Der Verteidiger muss deshalb die Nachtrunkangaben seines Mandanten immer auf Plausibilität überprüfen. Deshalb sei an dieser Stelle nochmals auf Kapitel 35 mit seinen Berechnungsgrundlagen hingewiesen (siehe § 35 Rdn 1 ff.).
f) Widerlegte Nachtrunkbehauptung
Rz. 113
Wird die Einlassung des Angeklagten, nach einem mit einem Pkw verursachten Verkehrsunfall eine bestimmte Art von Alkohol (hier Schnaps) zu sich genommen zu haben, aufgrund der Ergebnisse von begleitstoffanalytischen Untersuchungen der Blutprobe widerlegt, ist dadurch allein aber immer noch nicht bewiesen, dass im Zeitpunkt des Unfalles bei dem Angekl...