Rz. 22
Allein die Übernahme der Hauptbelegschaft kann schon zu einem Betriebsübergang führen. Der EuGH und das BAG erkennen in st. Rspr. an, dass auch die Arbeitnehmer einen wesentlichen Kern der wirtschaftlichen Einheit eines Betriebes ausmachen können (EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95 – Ayse Süzen; EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00 – Temco). Dies gilt insb. im Dienstleistungsbereich, aber auch im Produktionsbereich. Mithin besitzt die Übernahme von Arbeitnehmern einen gleichwertigen Rang neben den anderen Kriterien für den Betriebsübergang (BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96).
Rz. 23
Eine Gesamtheit von Arbeitnehmern kann eine wirtschaftliche Einheit darstellen, wenn es in dem Betrieb im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, und die Arbeitnehmer durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind. Dabei wird die Identität der Einheit gewahrt, wenn der Übernehmer nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, welchen sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte (EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00 – Temco; EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95 – Ayse Süzen; s.a. zuletzt BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11). Tätigkeitsbereiche, in denen die betriebliche Wertschöpfung fast ausschließlich vom EinS. menschlicher Arbeitskraft abhängt, sind vor allem Reinigungs-, Bewachungs-, Unterrichts- und Beratungstätigkeiten (HWK/Willemsen, § 613a BGB Rn 141). Auch beim Betrieb einer Arztpraxis steht die menschliche Arbeitskraft im Vordergrund, denn es kommt auf die Sachkunde und Fähigkeiten des Arztes sowie die Fachkenntnisse von dessen Mitarbeiterteam an (BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 107/10, a.a.O.).
Rz. 24
Es bedarf nicht eines besonderen Fachwissens der übernommenen Arbeitnehmer. Dies gilt jedenfalls dann, wenn für eine Dienstleistung ein geringer Qualifikationsgrad der Arbeitnehmer genügt und diese leicht austauschbar sind (BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96).
Übernimmt jedoch ein Leiharbeitsunternehmen von einem anderen Leiharbeitsunternehmen lediglich die bei einem bestimmten Entleiher eingesetzten Leiharbeitnehmer und setzt diese nunmehr aufgrund des ebenfalls übernommenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrages weiterhin bei diesem Entleiher ein, so stellt dies keinen Betriebsteilübergang dar, weil die übernommenen Leiharbeitnehmer für sich allein betrachtet keinen übergangsfähigen Betriebsteil dargestellt haben (BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12).
Rz. 25
Für die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit kann schon die Übernahme eines geringen Teiles der Belegschaft genügen, wenn es sich um hoch qualifizierte Arbeitnehmer handelt. Im Extremfall kann die Übernahme eines einzigen Arbeitnehmers für den Betriebsübergang genügen, wenn dieser das gesamte Know-how des Betriebes in seiner Person verkörpert und andere wesentliche Betriebsmittel übergehen. So hat das BAG als starkes Indiz für den Übergang eines Betriebsteiles ausreichen lassen, dass ein einzelner Arbeitnehmer übergeht, der "Know-how-Träger" des Betriebes ist (BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 781/93). Es handelt sich demnach um einen Betriebsübergang, wenn der Erwerber einen hohen Anteil der Führungskräfte, der sog. key employees, übernimmt.
Rz. 26
Je geringer hingegen der Qualifikationsgrad der Arbeitnehmer ist, desto größer muss die Anzahl der übernommenen Arbeitnehmer sein, damit ihnen identitätsbildende Bedeutung zukommt. Die Betriebsorganisation prägende Funktion hat dann die tatsächliche arbeitsteilige Aufgabenerledigung, wie sie sich unter dem bisherigen Inhaber als gelebte und bewährte Arbeitsorganisation herausgebildet hat (BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96).
Rz. 27
Beispiel
So hat es das BAG als Indiz für einen Betriebsübergang als hinreichend erachtet, wenn der Betriebserwerber 60 von 70 Arbeitnehmern, also ca. 85 % der Belegschaft, zur Reinigung einer Universität tatsächlich freiwillig übernimmt (BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96). Das BAG hat auch in dem Fall einen Betriebsübergang bejaht, in dem ein neu gegründetes Callcenter einen wesentlichen Teil (¾) der in einem Callcenter angestellten Arbeitnehmer übernimmt und der neue Betreiber das Service-Angebot erweitert und deshalb eine Fortbildung der übernommenen Mitarbeiter erforderlich wird. Allein die Erweiterung des Service-Angebots führe nicht zu einer Veränderung des Betriebszwecks (BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08).
Im Bereich IT entschied das BAG z.B.: Werden mehr als die Hälfte der in einem IT-Service-Betrieb beschäftigten IT-Servicetechniker, EDV-Servicemitarbeiter und Führungskräfte übernommen, so kann dies aufgrund des hohen Qualifikationsgrades dieser Mitarbeiter die Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals darstellen (BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11).
Andererseits hat es das BAG nicht ausreichen lassen, dass lediglich 75 % gering qualifizierte Arbeitnehmer eines Betriebes freiwillig übernommen werden, wenn nicht zugleich die betriebliche Organisationsstruktur übernommen wird (BAG v. 10.1...