1. Allgemeines
Rz. 112
Ebenso wichtig ist natürlich auch der vorbereitende Vortrag zur Frage des Wegfalls des Fahrverbots, hilfsweise des Absehens vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße. Der Verteidiger muss sich dabei nicht nur über die nach der BKatV vorgesehenen Regelfahrverbote im Klaren sein, sondern muss im Vorgriff auf die Hauptverhandlung den Betroffenen auch über ein drohendes Fahrverbot bei entsprechender Vorahndungslage informieren. Geregelt ist Letzteres in § 4 Abs. 2 BKatV, also bei wenigstens einer verwertbaren Voreintragung einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die die Grenze von 26 km/h überschritten hat, zuzüglich einer weiteren Geschwindigkeitsüberschreitung in gleicher Höhe. Nach neuerer und mittlerweile auch gefestigter Rechtsprechung kann die Anordnung eines Fahrverbots wegen der Vorahndungslage des Betroffenen aber auch angezeigt sein, wenn der Verkehrsverstoß, selbst bei einer Unterschreitung des "Grenzwertes" von 26 km/h, wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes gleichzusetzen ist. Abzuwägen sind in diesem Fall der Zeitablauf zwischen den jeweiligen Tatzeiten (Rückfallgeschwindigkeit) und der jeweilige Eintritt der Rechtskraft, daneben insbesondere Anzahl, Tatschwere und Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße. Es bedarf zudem Feststellungen zur Annahme eines auch subjektiv auf Gleichgültigkeit beruhenden besonders verantwortungslosen Verkehrsverhaltens, was sich aus einer Gesamtbetrachtung ergeben kann.
Rz. 113
Dabei muss es sich gar nicht zwingend nur um Geschwindigkeitsverstöße handeln, sondern auch andere Verstöße können zur Anordnung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Pflichtverstoßes führen. Dies wurde bspw. für Verstöße gegen § 23 Abs. 1a StVO entschieden, sofern wenigstens eine relevante Voreintragung mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung enthalten war und auch die sonstige einzelfallbezogene Betrachtung für eine Beharrlichkeit sprach. Zudem wurde der einfache Rotlichtverstoß wertungsmäßig dem Geschwindigkeitsverstoß mit mehr als 26 km/h gleichgestellt, so dass man für ein Fahrverbot nicht einmal mehr zwingend erhebliche Geschwindigkeitsverstöße braucht.
Rz. 114
Sowohl für den Regelfall der Beharrlichkeit nach § 4 Abs. 2 BKatV als auch für die neueren Konstellationen ist aber in jedem Fall Voraussetzung, dass zum Nachteil des Betroffenen Voreintragungen verwertet werden können. Schafft es der Verteidiger, die Hauptverhandlung terminlich so weit nach hinten zu verschieben, dass eine Voreintragung, z.B. nach Ablauf der Frist nach § 29 StVG, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr verwertbar ist, kann hierauf auch kein Fahrverbot gestützt werden. Zudem hilft ein weiterer Zeitablauf für die Argumentation, der Betroffene fahre seitdem regelgerecht. Ebenfalls nützt es für den Fall der verkehrspsychologischen Nachschulung, wenn Vortaten länger zurückliegen.
2. Wegfall des Fahrverbots
Rz. 115
Ein wesentlicher Aspekt der Verteidigung ist der dogmatisch richtige Umgang mit dem Fahrverbot bzw. dessen Wegfall. In viel zu vielen Lehrbüchern, Handbüchern und Kommentaren bestehen die Ausführungen zum Absehen vom Fahrverbot aus einer wild gemischten, manchmal immerhin nach Stichworten sortierten Sammlung von Einzelbeispielen aus der Rechtsprechung, ohne dass die dahinter liegende Systematik aufgezeigt wird und dementsprechend ohne dass der Verteidiger sich diese profund aneignen kann.
Rz. 116
Zunächst einmal kann versucht werden, den Eintritt eines Regelfahrverbots selbst zu verhindern, also den Tatbestand anzugreifen. Weitere Angriffe gegen das Fahrverbot betreffen dann die Rechtsfolgenseite.
Rz. 117
Hier kann der Verteidiger versuchen, den Erfolgsunwert des Verstoßes als fehlend zu deklarieren. Dabei kommen das Fehlen einer objektiv gesteigerten Gefährlichkeit (z.B. Rotlichtverstoß, aber keine Fußgänger in der Nähe) oder ein erhebliches Mitverschulden eines Gefährdeten in Betracht.
Rz. 118
Des Weiteren kann der Handlungsunwert der Tat verneint werden, wenn kein besonders nachlässiges, leichtsinniges oder gleichgültiges Verhalten vorliegt. Stichworte hierzu sind Augenblicksversagen, Irrtumslagen oder Messungen, die gegen Richtlinien verstoßen. Denn nur wenn Handlungs- und Erfolgsunwert zusammen vorliegen, ist die Anordnung des Fahrverbots angezeigt.
Rz. 119
Ein nächster Angriffspunkt ist die fehlende Erforderlichkeit der Anordnung des Fahrverbots. Dies kann z.B. bei einer besonders langen Verfahrensdauer zutreffen. Bezüglich einer freiwilligen Nachschulung dürfte der gesamte Wegfall des Fahrverbots aber derzeit nicht zu bejahen sein. Diese Konstellation kommt meiner Ansicht nach eher bei § 4 Abs. 4 BKatV zum Tragen.
Rz. 120
Dann kann schlussendlich auch...