Rz. 107

In vielen Fällen bietet sich auch eine dem Vorwurf des Bußgeldbescheids entgegenstehende Stellungnahme an, wenn es sich um eine rechtlich streitige Situation handelt und die Ausgangsbehörde die rechtliche Lage möglicherweise falsch eingeschätzt hat.

I. Vorsatz/Fahrlässigkeit

 

Rz. 108

Dies betrifft insbesondere Streitpunkte im Bereich der Frage Vorsatz/Fahrlässigkeit. Dabei darf allerdings für die Negierung vorsätzlichen Handelns keine widersprüchliche Einlassung abgegeben werden. Denn wenn z.B. zunächst die Fahrereigenschaft bestritten wurde, dann aber mit konkreten Umständen des Tattages (z.B. tiefstehende Sonne, Verdeckung von Verkehrszeichen durch Lkw auf der rechten Fahrspur) Täterwissen offenbart wird, versetzt der Verteidiger den Betroffenen ggf. ungewollt in eine rechtlich nachteilige Situation. Des Weiteren darf, sofern bereits im Bußgeldbescheid vorsätzliches Handeln angenommen wurde, natürlich keinesfalls eine Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch erfolgen.

 

Rz. 109

Muster 37.35: Stellungnahme zu Vorsatz

 

Muster 37.35: Stellungnahme zu Vorsatz

An das Amtsgericht _________________________

Sehr geehrte _________________________,

nach inzwischen gewährter Akteneinsicht gebe ich für den Betroffenen folgende Stellungnahme ab:

Der Betroffene räumt die Fahrereigenschaft ein, denn er ist an diesem Tag auf der fraglichen BAB _________________________ mit seinem Fahrzeug unterwegs gewesen. Allerdings ist ihm ein Verkehrsverstoß nicht erinnerlich. Insbesondere hat er, bedingt durch die örtlich sehr belebten Verkehrsverhältnisse mit zahlreichen Lkw und durch seine Ortsunkundigkeit an der fraglichen Stelle, das die Geschwindigkeit auf _________________________ km/h vor der Ausfahrt _________________________-Stadt reduzierende Verkehrszeichen nicht wahrgenommen. Es handelte sich auch nicht um einen Geschwindigkeitstrichter, sondern lediglich um ein Verkehrszeichen anlässlich der Autobahnausfahrt, was sich auch aus dem Messprotokoll ergibt. Entgegen der Vermutung der Rechtsprechung, dass Verkehrsteilnehmer ein ordnungsgemäß aufgestelltes Verkehrszeichen stets wahrnehmen (OLG Koblenz, Beschl. v. 7.5.2014 – 2 SsBs 22/14 = zfs 2014, 530), kann ich hier für den Mandanten bekunden, dass er das Verkehrszeichen gerade nicht wahrgenommen hat, insbesondere da er sich durch Blick auf die Verkehrsleitschilder vergewissern musste, ob er an dieser oder der folgenden Ausfahrt die BAB _________________________ verlassen müsste. Insofern erachte ich den im Bußgeldbescheid stehenden Vorwurf, des vorsätzlichen Verhaltens mit der entsprechenden Regelfolge nach § 3 Abs. 4a BKatV für nicht angemessen. Der Nachweis, das Verkehrszeichen zum einen wahrgenommen, zum anderen bewusst ignoriert zu haben, wird nicht zu führen sein (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 1.3.2019 – 3 Ss OWi 126/19, juris).

[optional] Sollte das Gericht dieser Argumentation folgen, erklärt der Betroffene sein Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 72 OWiG, welche die Regelfolge für einen fahrlässigen Verstoß festsetzt.

II. Tateinheit/Tatmehrheit

 

Rz. 110

Ein ebenso heikles Thema ist die Abgrenzung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit. Stehen zwei Taten in Tateinheit, etwa im Wege der natürlichen Handlungseinheit, werden aber in zwei getrennten Verfahren verfolgt, so kann die Rechtskraft des einen Verfahrens ein Verfahrenshindernis für das andere Verfahren bilden.[98] Ebenso relevant ist die Abgrenzung für die Frage der Höhe der Sanktionen: es gibt keine Gesamtgeldbuße bei Tatmehrheit, allerdings nach wie vor die Vorgabe, selbst bei Tatmehrheit nur ein Fahrverbot auszusprechen.[99] Leider ist die Einstufung eines Tatkomplexes im Rahmen der natürlichen Handlungseinheit als tateinheitlich oder tatmehrheitlich nicht prognostizierbar, es hängt stattdessen stets von den Faktoren des Einzelfalles ab. Mit einer geeigneten Argumentation lässt sich aber ein Gericht möglicherweise überzeugen, das für den Mandanten günstigere Ergebnis anzunehmen.

 

Rz. 111

Muster 37.36: Stellungnahme zu Tateinheit

 

Muster 37.36: Stellungnahme zu Tateinheit

An das Amtsgericht _________________________

Sehr geehrte _________________________,

nach inzwischen gewährter Akteneinsicht gebe ich für den Betroffenen folgende Stellungnahme ab: Entgegen der Einschätzung des Bußgeldbescheides der Zentralen Bußgeldstelle _________________________ kann eine Ahndung des meinem Mandanten vorgeworfenen Verhaltens nicht mehr erfolgen.

Zwar handelt es sich bei mehreren im Verlaufe einer Fahrt begangenen Verkehrsverstößen eines Kraftfahrzeugführers im Regelfall um mehrere Taten im materiellen und prozessualen Sinne. Eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit und damit auch im prozessualen Sinne nach § 264 StPO kann ausnahmsweise dann vorliegen, wenn die einzelnen Verkehrsverstöße einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang aufweisen, dass sich der Lebensvorgang als solcher bei natürlicher Betrachtung auch für einen unbeteiligten Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt.

So liegt der Fall hier. M...

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