Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 95
Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehmen, genießen Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII (§ 539 Abs. 1 Nr. 9a RVO a.F.). Der Versicherungsschutz wird insoweit durch die Nothilfeleistung begründet (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII). Als derartiger "Nothelfer" kommt in Betracht, wer aus den Umständen den "berechtigten Schluss" ziehen durfte, dass eine gemeine Gefahr vorliegt, und wer in der Absicht handelt, diese Gefahr zu beseitigen.
Rz. 96
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt der Versicherungsschutz für die Hilfeleistung nicht zur Anwendung des Haftungsausschlusses gemäß § 104 SGB VII: Weil der Versicherungsschutz des Nothelfers durch die Leistung der Nothilfe begründet wird,
Zitat
"wird (er) also gerade nicht durch die Beziehung zu einem Unternehmen begründet, wie § 104 SGB VII das voraussetzt. Das gilt [...] auch dann, wenn die Hilfeleistung einem Unternehmer zugutekommt. [...] Bei einer Hilfeleistung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII ergibt sich also die Unfallversicherung kraft Gesetzes und nicht etwa daraus, dass der Versicherte einem Unternehmen zu Hilfe kommt, sondern weil er Nothilfe im Sinne dieser Vorschrift leistet und somit der Allgemeinheit hilft. Für diese Hilfe ist es gleichgültig, ob derjenige, dem geholfen wird oder der von einer Gefahr verschont wird, ein Unternehmer oder eine andere Person ist. Der Unfallversicherungsschutz wird vielmehr für den Dienst an der Allgemeinheit gewährt und soll die Bereitschaft zur Hilfeleistung durch eine soziale Existenzsicherung fördern, nicht aber einen Unternehmer privilegieren, dem möglicherweise die Hilfeleistung zugutekommt".
Rz. 97
Die Frage ist, ob der bei der Rettungsaktion verletzte Nothelfer nicht auch nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII Versicherungsschutz haben könnte, sodass seine Eingliederung in den durch die Rettungsaktion begünstigten oder mitbegünstigten Betrieb zu bejahen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt eine Hilfeleistung, bei der für einen bislang Außenstehenden erst eine Gefahrenlage den Anlass zum helfenden Eingreifen bildet, nicht zu einer Haftungsablösung nach § 104 SGB VII.
Rz. 98
Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Tätigkeiten im Rahmen der Nothilfe von so untergeordneter Bedeutung gegenüber denen sind, die der Helfer wie ein "Arbeitnehmer" im Interesse des Betriebs leistete.
Rz. 99
Bereits in Rdn 75 wurde darauf verwiesen, dass der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Tendenz zur Eingrenzung des Haftungsausschlusses immanent ist. Dies wird auch dadurch deutlich, dass der Vorschrift über die Rechtsstellung des Nothelfers nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII (§ 539 Abs. 1 Nr. 9a RVO a.F.) in der Praxis größeres Gewicht verliehen wird. Die großzügige Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII führt zur Einschränkung des Haftungsprivilegs.
Rz. 100
Dies liegt zum einen am systematischen Verhältnis der verschiedenen Versicherungstatbestände (siehe bereits Rdn 30 ff. und Rdn 39 ff.): Bejaht ein Unfallversicherungsträger seine Einstandspflicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII (§ 539 Abs. 1 Nr. 9a RVO a.F.), so verneint er damit zugleich eine Zuordnung der Unfallverletzung zu einer nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII (§ 539 Abs. 2 RVO a.F.) versicherten Tätigkeit. An diese Entscheidung des Unfallversicherungsträgers ist der Zivilrichter nach § 108 SGB VII (dazu § 37 Rdn 1 ff.) gebunden.